Naziverbrechen in der diakonischen Jugendhilfe in Bremen

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Initiative von ver.di aus der Belegschaft: Aufarbeitung der Naziverbrechen in der (diakonischen) Jugendhilfe in Bremen 1933-45
Aus der Belegschaft der diakonischen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen in Bremen und einer dort engagierten ver.di-Betriebsgruppe wurde 2013 der Ruf laut, 70 Jahre nach Kriegsende, endlich mit der systematischen Aufarbeitung zu beginnen und ein sichtbares und passendes Gedenken an die Opfer zu etablieren, auch an den Orten und Gebäuden der bis heute teilweise fortexistierenden Sozial- und Jugendhilfefeinrichtungen, wie Innere Mission, sowie St. Petri Kinder- und Jugendhilfe, Alten Eichen und deren "Dach", die Petri & Eichen, Diakonische Kinder und Jugendhilfe Bremen gGmbH.
Naziverbrechen in der diakonischen Jugen
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Gedenktafel an der ehemaligen evangelischen Mädchenfürsorgeanstalt "Isenbergheim" in der Kornstr. / Neustadt

Solche Gedenktafeln sind zur Nachahmung empfohlen, auch für bis heute fortexistierende evangelischen Jugendhilfeeinrichtungen (Diakonische Jugendhilfe, https://www.petriundeichen.de), die 1933-45 in Gewalt gegen Kinder und Jugendliche verstrickt waren; bzw. die Einrichtungen der Inneren Mission in Bremen.

Das Isenbergheim in der Kornstr. in der Bremer Neustadt ist seit September 2016 die dritte Station eines Erinnerungs-Lehrpfads. Eine Gedenktafel erinnert hier an die ehemaligen Heimbewohnerinnen und ihr Leid. Für einige dort Einsitzende endete die "Fürsorgeerziehung" der Nazi-Zeit in Todeslagern.

Das Heim wurde in frappierender "pädagogischer" Kontinuität nach dem Krieg wieder geöffnet (wie auch der Ellener Hof für Jungen in Blockdiek), es häuften sich die entwürdigenden Übergriffe gegen die Mädchen dort. In den 1970er Jahre konnte die kritische "Heimkampagne" von Sozialarbeiter*innen die Schließung endlich erzwingen. Der Weserkurier vom 08.09.2016 berichtet ausführlich.


»Denn bin ich unter das Jugenamt gekommen«* Bremer Jugendfürsorge und Heimerziehung 1933-1945 (in diakonischen Anstalten) - Ausstellung

Erstmalig zeigte eine Ausstellung (21.10.2018 - So. 24.2.2019), wie der Alltag von Bremer Jugendlichen in den Heimen der Jugendfürsorge zwischen 1933 und 1945 aussah. Die Ausstellung rekonstruiert den Heimalltag der bremischen Einrichtungen der evangelischen Jugendfürsorge in der NS-Zeit, dokumentiert das Erleben der Jugendlichen unter anderem im Ellener Hof, im Marthasheim aber auch in außerbremischen Einrichtungen, wie der Betheler Zweiganstalt Freistatt oder der Diakonissenanstalt Kaiserswerth. Die Biografien jugendlicher Mädchen und Jungen machen die dramatischen, zum Teil tödlichen Folgen der Aussonderung aus der „Volksgemeinschaft“ greifbar: die Durchführung von Zwangssterilisationen, die Deportation in Jugendkonzentrationslager und Einrichtungen der „Euthanasie“- Aktionen. Dokumente, Bilder, Filmausschnitte und Hörstationen ergänzen die Präsentation. Durch die Mitarbeit von Jugendlichen wird die heutige Situation der Jugendfürsorge lebendig. Dokumente, Bilder, Filmausschnitte und Hörstationen ergänzen die Präsentation.

 

Zur Ausstellung erschien das Buch der Autorin Gerda Engelbracht, „Denn bin ich unter das Jugenamt gekommen“. Bremer Jugendfürsorge und Heimerziehung 1933 – 1945, Edition Falkenberg für den Preis von 9,90 € (ISBN 978-3-95494-160-5).

 

*Das Zitat ist dem handschriftlichen Lebenslauf von Helmut Bödeker entnommen. Der ehemalige "Zögling" des Ellener Hofs schrieb ihn im Jahr 1934. Auf eine Korrektur der Rechtschreibung wurde bewusst verzichtet.


Verschwiegene Gewalt - Gewalt gegen Kinder und Jugendliche in den stationären Hilfen der Gegenwart

Vortrag Do 4.12.2018 // 19:00 Uhr Haus im Park // Eintritt frei

mit Friederike Lorenz (vor ihrem Wechsel nach Berlin in unserem Bündnis engagiert)

M.A., Erziehungswissenschaftlerin und Sozialarbeiterin, FU Berlin
Machtmissbrauch und Gewalt durch Mitarbeiter*innen in der Heimerziehung sind kein historisch überwundenes Thema, sondern ein andauerndes Problem, das sich regelmäßig anhand öffentlich werdender Fälle zeigt. Der Beitrag spannt den Bogen zur Gegenwart anhand einer Studie zu einem aktuellen Fall. In diesem hat ein für zwei Wohngruppen der stationären Eingliederungshilfe zuständiges Team über mehrere Jahre hinweg systematisch Gewalt gegen Kinder und Jugendliche ausgeübt. Im Vortrag wird der Frage nachgegangen, wie Gewalt und Machtmissbrauch in der gegenwärtigen Heimerziehung legitimiert werden und wie dabei ein Verschweigen der Gewalt in organisationalen Praktiken vollzogen wird.


Gewalt an Heimkindern im Ellener Hof in den 1960er Jahren - Albtraum hinter verschlossenen Türen

Auszüge: "...Bernd Heiland ...fand sich als Junge 1966 unversehens vor den Toren der Jungenerziehungsanstalt Ellener Hof in Bremen-Osterholz wieder. „Später habe ich herausgefunden, dass das Jugendamt sehr viel Druck auf die Eltern ausgeübt und die Heime positiv dargestellt hat.“ Regelrecht eingesammelt worden seien die Kinder aus den ärmeren Stadtteilen. „Ich nehme an, das waren dieselben Beamten wie im Dritten Reich.“... "Der Heimleiter sei ein ehemaliger Stuka-Flieger mit einer Kriegsverletzung gewesen. „Dementsprechend war auch sein Gehabe.“ Bernd Heiland kam direkt in das gefürchtete „Haus 5“, die geschlossene Abteilung, und wurde in Häftlingskleidung gesteckt. „Mir wurden meine Klamotten, mein Geld und meine Wertsachen abgenommen.“ Das Leben teilte er sich mit drei anderen Jungen in einer kleinen Zelle. „Das waren sehr kleine Zimmer mit zwei Etagenbetten und einem Pisseimer“, erzählt er. Die Fenster bestanden aus Glasbausteinen mit einem kleinen Lüftungsschlitz. Von einer pädagogischen Erziehung habe er nichts gemerkt, wohl aber von erniedrigenden Bestrafungen. „Wer beim Rauchen erwischt wurde, musste mit der Zahnbürste das Badezimmer sauber machen.“ Dazu kamen Schläge und psychologische Quälereien. Besonders hervorgetan habe sich der Hausvater – eben jener Riese aus dem Garten. „Das waren keine Pädagogen, sondern Wärter“, sagt Bernd Heiland. Aber auch untereinander habe es viele Auseinandersetzungen gegeben. ... „Es gab eine Hofgruppe, und später haben wir für Vitakraft Aquarien zusammengebaut.“ Viele Gespräche drehten sich darum, wie man dem Haus entkommen könnte. „Das ging bis zu einem Todesfall. Die Kripo kam und sagte, sie suchten einen Mörder.“ Das war passiert: Zwei Jungen waren auf der Flucht in eine Scheune eingebrochen und waren in Streit geraten. Dabei kam ein Sechzehnjähriger ums Leben und sein Kontrahent versenkte die Leiche in einem Tümpel. Insgesamt habe es eine „tierische Brutalität“ unter den Jungen gegeben, sagt Bernd Heiland. „Weil man uns nicht pädagogisch betreut, sondern nur kontrolliert hat.“ Die Aggressionen, die sich unter der Woche auf dem Ellener Hof anstauten, mussten die Jungen am Wochenende beim Freigang loswerden. „Die Aggressionen haben wir dann an den Blockdiekern mit Prügeleien ausgelassen.“ In Blockdiek gab es unter anderem die Diskothek „Beatkeller“, die auch von Jungen des Ellener Hofes besucht wurde. „Aber es gab immer die Drohung, dass man bei noch einem Vergehen ins Moor nach Freistatt kommt.“ Freistatt war ein berüchtigtes Lager für Jugendliche im Landkreis Diepholz, in dem unter Anstaltsleiter Brockmann der Geist der NS-Zeit weitlebte. Das Lager existierte bis in die 1970er-Jahre hinein. ...Für Bernd Heiland wehte in der ganzen Anstalt noch der Geist des Dritten Reiches. „Es hieß zum Beispiel: ‚Früher hätte man so etwas wie euch vergast‘.“ Die Rede sei außerdem davon gewesen, dass die Jungen „Untermenschen“ und „unwertes Leben“ seien – alles Begriffe aus dem Sprachgebrauch der Nationalsozialisten. Nach Außen hielt man einen schönen Schein aufrecht: „Wenn das Jugendamt kam, wurde das ja immer angekündigt, dann wurde alles schön gemacht.“ Dabei habe es selbst am Essen gefehlt. „Oder es gab grottenschlechtes Essen.“

Studie über die NS-Zeit in der diakonischen Jugendhilfe in Bremen - St. Petri Kinder- und Jugendhilfe

VORTRAG / Vorstellung einer Studie der Bremer Kulturwissenschaftlerinnen Gerda Engelbracht und Dr.Andrea Hauser über die Situation von Bremer Kindern und Jugendlichen während der NS-Zeit in evangelischen Kinderheimen und Fürsorgeanstalten (St. Petri, Alten Eichen, Freistatt, Ellener Hof) am 22.8.2017 im Plenumsraum der St. Petri Kinder- und Jugendhilfe.

 

Der Weserkurier berichtete ausführlich am 28.08.2017  über die Schicksale der ca. 104 "Selektierten", die vom St. Petri Heim in andere Heime wie den "Ellener Hof" und von da aus weiter verlegt wurden.

 

"Von 1936 datiert der Erlass des Jugendamtes, wonach Minderwertige aus Bremen Aufnahme finden sollten und nach Verwertbarkeit zu ordnen waren. Demzufolge war Arbeitskraft der Bewohner das entscheidende Kriterium für ihren Verbleib oder ihre Verlegungen, die behördlich angeordnet wurden."..."Der damalige Bewohner Selmar Störmer [z.B.] kam nach der Station im St.-Petri-Waisenhaus in die Bremer Nervenklinik, wo er nach Feldarbeit zum Hausarbeiter des Abteilungsarztes befördert wurde, bevor man ihn infolge eines Fluchtversuchs in die Anstalt Hadamar in Hessen verlegte. Dort wurden zwischen 1940 und 1945 nahezu 15 000 Menschen ermordet."

 

"Der ehemalige Hilfsschullehrer Klüsing, der bereits unehrenhaft aus einer [anderen] Heimleitung entlassen worden war, wurde mit Parteibuch Leiter des St.-Petri-Waisenhauses. Sein Vorgesetzter war ein reicher Bremer Kaufmann, ebenso mit Parteibuch."


Zeitzeugen gesucht

Was erlebten und erlitten Bremer Kinder und Jugendliche, die während der Zeit des Nationalsozialismus in Fürsorgeheimen oder Jugendkonzentrationslagern leben mussten?

Seit zwei Jahren erforscht die Bremer Kulturwissenschaftlerin Gerda Engelbracht die Situation in den evangelischen Jugendheimen während der NS-Zeit im Auftrag des Diakonischen Werks Bremen und der Stiftung St. Petri Waisenhaus von 1692 in Bremen. Die überlieferten Archivalien und Dokumente sind inzwischen gesichtet und ausgewertet. Sie bilden die Basis für eine Ausstellung und eine Publikation, die im nächsten Jahr erscheinen soll.

Nun ist die Kulturwissenschaftlerin auf der Suche nach Zeitzeugen und Zeitzeuginnen, die zwischen 1933 und 1945 in Bremer Heimen oder auch in Heimen außerhalb Bremens untergebracht waren. Zu den Bremer Fürsorgeeinrichtungen zählten das St. Petri-Waisenhaus, der Ellener-Hof, das Marthas-Heim, das Isenbergheim und das Mädchenwaisenhaus in der Schwachhauser Heerstraße. Andere Jugendliche wurden in die Fürsorgeeinrichtungen Oberdüssel (heute Diakonie Aprath bei Wuppertal), Düsseldorf Kaiserswerth oder Freistatt bei Sulingen geschickt, ab 1940 auch in die Jugendkonzentrationslager Moringen und Uckermark.

Wenn Sie in einer solchen Einrichtung gelebt haben - oder jemanden kennen, der in einer solchen Einrichtung gelebt hat - und darüber berichten möchten, setzen Sie sich bitte mit Frau Engelbracht telefonisch (0421-243 5619) oder auch per E-Mail (mail@gerda-engelbracht.de) in Verbindung. Alle Informationen werden natürlich vertraulich behandelt.


Selbst im Lutherjahr 2017 mangelte es an Kritik an Luthers Judenhass

Luthers ausgeprägter Judenhass und die Rückwirkungen auf die nationalsozialistische Judenverfolgung, an der nicht unerhebliche Teile der evangelischen Kirche (und ihrer Inneren Mission) 1933-45 aktiv beteiligt war, wird gerne ausgeblendet.

Mit machtvoller Hilfe der Nationalsozialisten in Berlin wurde Pastor Weidemann zum Bremer Landesbischof 1933 ernannt. Weidemann (1895 als Sohn eines Seminaroberlehrers in Hannover geb.) war einst Freiwilliger im ersten Weltkrieg und studierte Theologie in Göttingen. Seine entscheidenden theologischen Einflüsse erhielt er von dem Kirchenhistoriker Karl Mirbt und dem Neutestamentler der literarkritischen Schule Walter Bauer, später vom jungen Barth. (vgl. Heinonen 1978)

 

Weidemann übte sich als Hilfsprediger an der Göttinger St. Jacobi Kirche. Es ist von dort überliefert, dass er seine "priesterliche Tätigkeit mit dem Kruxifix in der einen und der Handgranate in der anderen aus[führte]." (vgl. Heinonen 1978). Als Repräsentant der "Frontgeneration" und Anhänger der sog. "Positiven", oder "Orthodoxen", war er prädestiniert,  Bremer Gauobmann der sog. "Glaubensbewegung Deutscher Christen" (abgekürzt DC) zu werden. Hitler hatte sich persönlich dafür eingesetzt, diese "evangelischen Nationalsozialisten" so und nicht anders zu nennen (Vgl. auch f.d.ff. Heinonen 1978).

 

Die öffentlich gefeierte Gründung der regionalen DC Gauorganisation erfolgte am 25. April 1933 im Bremer Casino, wegen der Überfülle noch auf die Rembertihallen erweitert. Thema der Versammlungen: "Nationale Revolution und Kirche." Es sprachen neben Senator Otto Heider und NSDAP Kreisleiter Paul Wegener:

  • Paul Thyssen, 1904-31 Pastor an St. Stephani, 1932-35 Pastor in Wasserhorst,
  • Hermann Rahm, 1925-34 in Hastedt, 1934-1950 (!) am St. Petri Dom, 1933 Mitglied im Kirchenausschuss, ab Juni 1934 Mitglied des Kirchentages der BEK),
  • K. Kefer, 1911 Pastor in Rablinghausen, ab 1933 Kreisleiter der DC, 1934-1947 (!) Pastor an St. Martini) und
  • Domprediger Pastor Lic. Dr. Heinz (Heinrich) Weidemann, seit 1926 Domprediger im St. Petri Dom, 1933 in die NSDAP eingetreten. Die sehr widersprüchliche Figur Weidemann fiel später in Ungnade und (Ironie der Geschichte) tauchte nach dem Krieg in der DDR unter und richtete sich als Bürgermeister eines kleinen Dorfes in der ehemaligen Deutsche Christen Hochburg Thüringen ein.

Literatur: Heinonen, Reijo E. (1978): Anpassung und Identität, Theologie und Kirchenpolitik der Bremer Deutschen Christen 1933-45, Vandenhoek und Ruprecht Verlag

Die “Deutschen Christen” verfügten in Bremen vorübergehend über so großen Einfluss, dass sie große Teile der Pastoren/Gemeinden und ihrer diakonischen Arbeit in ihren theologischen und ideologischen Griff bringen konnten. Die Mehrheit der BEK (ihr Kirchenausschuß) lehnte zwar Weidemanns harten Kurs ab* , aber "glaubte, durch die Bejahung und die Zusammenarbeit mit dem [NS] Staat als Obrigkeit ... zu der "religiös-sittlichen Erneuerung des Volkes" beitragen zu können." (Zitiert aus Heinonen, 1978: 32)

 

Foto: Nach der Machtergreifung wurden sofort die Gewerkschaften zerschlagen und die Nationalsozialisten feierten zusammen mit der evangelischen Kirche den 1. Mai auf ihre Weise.

 

Weidemann und seine Mitstreiter unter der Bremer Pastorenschaft betonten die Bekenntnistreue und Verbundenheit der DC mit der Reformation und bezogen sich dabei (berechtigt oder nicht) auf das Denken des reformierten Theologen Barth als "anerkanntesten theologischen Lehrer der Gegenwart." Weidemann und die DC waren bekannt für ihre antijudaistische "Theologie". Das „BEK-Forum“ Februar-Mai 2013 zitiert auf Seite 24 die Archivare des bremischen Kirchenarchives mit den bezeichnenden Worten: „Aus der Zeit zwischen 1933 und 1945 sind leider viele Akten verschwunden, die man nach Kriegsende getilgt hat, um die Spuren der nazifreundlichen Deutschen Christen in Bremen zu verwischen.“

 

„In Bremen wurde die ‚Ortsgesellschaft für Rassenhygiene‘ im Frühjahr 1925 vom Leiter der frauenärztlichen Abteilung des Diakonissenkrankenhauses in Gröpelingen, Prof. Dr. Kirstein, gegründet.“ [Ab 1.11.33 umbenannt in ‚Fachgesellschaft für Erbgutlehre und Erbgutpflege‘] „...ab 1933 [wurden] die Veranstaltungen in ihrer Programmatik konkreter ... zu dem Thema: ‚Das Problem der Verhütung unwerten Lebens‘ [...] Der ärztliche Verein, die Juristische Gesellschaft, der naturwissenschaftliche Verein sowie die Bremer Pastorengesellschaft unterstützten den Aufruf zu dieser Veranstaltungsreihe.“ (vgl. Krenz, Eva; Kaulfuß, Jürgen; Pot D´Or, Jonas, „Der arische Holocaust – NS-Jugendhilfe zwischen Auslese und Ausmerzung“, Diplomarbeit Uni Bremen, 1984, S. 182)

 

Auf von Fürsorgemaßnahmen betroffene Bremer Kinder und Jugendliche hatte diese Entwicklung folgenreiche Auswirkungen. Um die lebensgefährlichen Konsequenzen für Fürsorgezöglinge anzudeuten, sei hier eine Meldung des Heimleiters (1933-1938) des Waisenhauses St. Petri  Johann Klüsing an das Jugendamt vom November 1937 zitiert:

 

„Nach der Verordnung des Reichserziehungsministers wegen des Besuches deutscher Schulen durch jüdische Kinder, machen wir auf Christian aufmerksam, der doch jedenfalls als Jude anzusehen ist, da er doch von mindestens 3 der Rasse nach volljüdischen Großeltern abstammen wird. Über den letzten Punkt hätten wir gern Nachricht vom Jugendamt, da wir uns danach mit dem Schulbesuch des Jungen einzurichten haben. Sollte der Junge Jude in dem Sinne sein, wollen wir ihn auch nicht als Zögling behalten. Wir bitten um baldige Nachricht.“ (Chronik St. Petri)

 

Georg Rehse, Rektor der während der Nazizeit für seinen besonders rigiden (für einige Jungen auch tödlichen) Erziehungsstil bekannten Fürsorge-Anstalt „Ellenerhof“ (s.u.), war laut einer am 07.10.1933 erfolgten Überprüfung über die "Erziehung der Kinder im nationalsozialistischen Sinne" Mitglied in der Glaubensgemeinschaft „Deutscher Christen“ und gehörte dem Kirchenvorstand der Gemeinde Oberneuland an. Über eine Aufarbeitung dieser Vorstandstätigkeit in der evangelischen Gemeinde Oberneuland ist nichts bekannt.

 

* Auf die Minderheit der Bremer Theologen, die teilweise persönliche Konsequenzen nicht scheuend, in vielfältiger Weise Widerstand praktizierten (acht gehörten der Bekennenden Kirche an) kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. Die BEK wird ohnehin nicht müde, diese Minderheit öffentlich bei jeder Gelegenheit hervorzuheben und die "Peinlichkeit" des Wirkens der Mehrheit lieber wegzulassen.

 

Weitere Literaturempfehlungen und Bremer Quellen:

Horn, Detlev von (2013): Die Dankeskirche in Sebaldsbrück - Im Schatten der braunen Vergangenheit, Geschichtskreis Sebaldsbrück

Jung, Reinhard (Hrsg.) (1984): "Wir sind in die irre gegangen" - Evangelische Kirche und Politik in Bremen 1933 bis 1945, Kuratorium des Bildungswerkes evangelischer Kirchen im Lande Bremen

Krampitz, Karsten (2017): "Jedermann sei untertan": Deutscher Protestantismus im 20. Jahrhundert. Irrwege und Umwege. Alibri Taschenbuch, Aschaffenburg


Diakonische Jugendhilfe Bremen 1933-45: Isenbergheim, Marthasheim, Alten Eichen (Mädchen), sowie St. Petri Waisenhaus, Ellener Hof (Jungen)

Die WEB-Seite www.spurensuche-bremen.de hat inzwischen einige Informationen zur Nazizeit in den von der Inneren Mission (Vorgängerin der Diakonie) 1933-45 betriebenen Mädchenfürsorgeanstalten in Bremen (Isenbergheim in der Kornstr. in Bremen Neustadt und das Marthasheim in der Osterstraße 21 ) zusammengetragen. Die Akten zu "Alten Eichen" (Mädchenwaisenhaus) sind verschollen. Die evangelischen Heime für Jungen waren das „St. Petri Knabenwaisenhaus“ (Stadtteil Osterholz) und der „Ellener Hof“ (Stadtteil Blockdiek, auch Ellenerhof geschrieben).

 

Nachgewiesen im Ellener Hof ist neben vielen Anderen der Fall des 18-jährigen Zöglings Willy D., der durch die ständigen Misshandlungen des Erziehers Eberhard in den Suizid getrieben wurde. Der Jugendliche konnte die ständigen Quälereien des Erziehers und den von ihm angestachelten Jugendlichen nicht mehr aushalten und nahm sich 1942 mit Salzsäure das Leben. [Erzieher] Eberhard war bereits seit 1934 als brutaler und sadistischer Mensch bekannt. Die damalige Haltung des nationalsozialistischen Heimleiters Rehse liest sich dann so:

„Zusammenfassend kann nach wie vor gesagt werden, daß D. ein vollkommen haltloser, verlogener und durchtriebener Junge ist, der schwerlich seinen Weg auch bei der Wehrmacht finden wird. Soweit ich von der Tante erfuhr, hat auch der Erzeuger durch Selbstmord ein Ende gefunden.“ 

 

Nachdem Eltern und Anwohner die Prügeleien des Erziehers Eberhard im Ellener Hof gegenüber einem anderen Zögling F... meldeten, wurde am 12. Juli 1944 eine Stellungnahme vom Heimleiter Rehse angefordert. In seiner Antwort am 27.Juli 1944 beschreibt Georg Rehse seine „Pädagogik“ im Ellener Hof:

„...Ich stellte fest, daß, wenn einmal ein Zögling entwichen war und den anderen dadurch der Urlaub entzogen wurde, diese dann den Ausreisser verdroschen. Dies ist eine an sich bekannte und übliche Selbstmaßnahme.“  Und weiter: „Ist es nun wirklich etwas so Schlimmes, wenn eine solche Kreatur (anders kann ich ihn auch kaum bezeichnen) als Unterbolschewist oder Gangster bezeichnet wird ? Einem solchen Jugendlichen gehörte eigentlich eine derartige Tracht Prügel, daß er vier Wochen nicht sitzen könnte.“

 

Nachdem diese „Pädagogik“ keinen „Erfolg“ zeitigte, empfahl Heimleiter Rehse im Dezember 1944 für den nun angeblich „verbrecherisch veranlagten“ 15-jährigen Jungen die Verlegung in das Jugend-KZ Moringen, welches euphemistisch „Jugendschutzlager“ für Jungen genannt wurde:
„...Nach den bisherigen Erfahrungen muss gesagt werden, dass F. ein verbrecherisch veranlagter Junge ist, der nach meiner Ansicht Aufnahme in einem Jugendschutzlager finden müsste. Ich glaube nicht , dass andere Erziehungsmaßnahmen noch irgendwie zu einem Erfolg führen...."


Vorstand und Verein des Ellener Hof (Innere Mission) während des Nationalsozialismus (und danach)

Unter den langjährigen Vorstandsmitgliedern des Ellener Hof, bis in die Nachkriegszeit, findet sich der Stellvertretende Vorsitzende (1937-1950) DR. EMIL WARNEKEN, Parteimitglied der NSDAP seit 1933 und de facto Vorsitzender des berüchtigten Bremer Sondergerichts. Mitverantwortlich für 49 Todesurteile *, darunter das gegen den polnischen Jugendlichen Walerjan Wrobel.“   Christine Schoenmakers hat ihre Doktorarbeit über (Bremer) NS-Juristen geschrieben und stellte ihre Forschungsergebenisse am 16.03.2017 im Haus der Wissenschaft vor.  Der Weserkurier berichtete. DR. EMIL WARNEKEN hatte dort mit seinen "Tagebuchaufzeichnungen" einen schaurig prominenten Platz.

 

Buchempfehlung: Christine Schoenmakers "Die Belange der Volksgemeinschaft erfordern..." Rechtspraxis und Selbstverständnis von Bremer Juristen im "Dritten Reich" (2015), Ferdinand Schönig Verlag

 

Weitere Vorstandsmitglieder des Ellener Hof während der Naziherrschaft 1933-45 (laut Chronik von 2001) : Bürgermeister Hermann Hildebrand (bis 1939), Dr. Stefan Lürmann (1940-50!), Dr. Johannes Dreier (1940-57!).

Vereinsmitglieder des Ellener Hof während der Naziherrschaft 1933-45 (laut Chronik von 2001) : Pastor Bodo Heyne (1931-66 !), Dr. Eberhard Noltenius (1908-47!), Frau W.B. Michaelsen (1909-48!), Frau Therese Lahusen (1914-48!), Pastor Constatin Frick (1917-49!), Richter Dr. Emil Warneken (1917-76!), Fr. Marie Migault (1921-40), Fr. Auguste Schepp-Merkel (1923-49), Hermann Hehns (1931-72!), Fr. Marwede (1931-55!), Fr. W. Justi (1934-36), Fr. Lauth-Volkmann (1934-59!), Dr. Johannes Kulenkampff (1934-81!).

 

Im Übergang der Weimarer Zeit bis zum Ende der Naziherrschaft waren Pastor Bodo Heyne und Pastor Constantin Frick (1934 Präsident des Centralausschusses der Inneren Mission und SS-Mitglied) verbunden in der maßgeblichen Gestaltung der Arbeit der Inneren Mission in Bremen (und vorübergehend auch in Berlin) bis zur Überführung dieser Arbeit in das 1963 neugegründete Diakonische Werk Bremen (DW Bremen).

 

Buchempfehlung dazu: Jochen-Christoph Kaiser: Constantin Frick und Bodo Heyne — zwei Bremer Pastoren und die Innere Mission zwischen 1933 und 1945 in Evangelische Kirche und Sozialer Staat - Diakonie im 19. und 20. Jahrhundert. Verlag W. Kohlhammer.)


Auch nach dem Krieg geht es weiter - die US-Besatzungsmacht reaktiviert den Ellener Hof

Wenigen ist bekannt, dass die biologistische Sichtweise ("erbbiologische Reinigung des Volkskörpers") unter Wissenschaftlern und Politikern in den USA (und England) bis Mitte des 20. Jahrhunderts sehr weit verbreitet war, incl. praktizierter Zwangssterilisationen in einzelnen Bundesstaaten der USA.

 

"Die Gesetze der Natur verlangen die Auslöschung der Ungeeigneten. Und menschliches Leben ist nur dann wertvoll, wenn es für die Gemeinschaft oder die Rasse von Nutzen ist." ... " Die Kirche nimmt eine schwere Verantwortung für die Zukunft der Rasse auf sich, wann immer sie sich einmischt und eine behinderte Erblinie am Leben erhält ... Der Gemeinschaft wird großer Schaden angetan durch die Erhaltung von wertlosen Typen.  (Madison Grant, 1865-1937 New York, eine führende Gestalt in der eugenischen Bewegung, deren Einfluss zu dem gegen Asiaten und Andere gerichteten "Immigration Act von 1924" führte, zu Heiratsverboten zwischen verschiedenen Ethnien und zur Sterilisierung von Menschen, die als „unworthy“ im Sinn von „minderwertig“ bezeichnet wurden.)

 

Es gibt weitere gut belegte Quellen, die beweisen, dass Vertreter der deutschen Nationalsozialisten diese biologistische Haltung nicht etwa erfunden, sondern begierig aufgegriffen haben und zu ihrer schrecklichen "Perfektion" getrieben haben. Siehe diese Buchempfehlung: Hermann Ploppa (2016), Hitlers amerikanische Lehrer, Liepsen Verlag, Marburg an der Lahn.

Es bedarf dringend weiterer Forschung und entsprechender finanzieller Förderung, um genauer zu klären, warum die englische zusammen mit der US-Besatzungs-Enklave in Bremen/Bremerhaven alte (kirchliche) Heimeinrichtungen einfach reaktivierte, meist incl. des Nazi-Personals; ein Beispiel ist der "Ellener Hof" incl. seines langjährigen Heimleiters Rehse (ehem. "Deutscher Christ", erklärter Nazi und Eugeniker) in Bremen.

 

Ein Hintergrund war sicherlich, dass in den Nachkriegsnöten und -wirren tausende entwurzelte und traumatisierte Jugendliche in ihrer Not und Orientierungslosigkeit mit dem Gesetz und der sozialen Ordnung in Konflikt gerieten und hierfür sozialarbeiterische Angebote und der Wiederaufbau der Wirtschaft dringlich waren. Dass das gewählte "Angebot" für diese perspektivlosen Jugendlichen wieder in der strengen "Fürsorge" eines stadtbekannten Nazi-Heimleiters lag, kann aber nicht nur einer gewissen "Naivität" zugeschrieben werden, sondern hat auch mit der in den USA ebenso üblichen "Behandlung" von dissozialen Jugendlichen in ähnlich repressiven Erziehungsanstalten ("Boot-Camps") zu tun; wie auch mit dem in den USA damals durchaus verbreiteten eugenischen Gedankengut.

 

Das allgemein, und bis heute auch in sozialarbeiterischen Ausbildungsinstituten und Hochschulen, verbreitete Bild der Freiheit und Demokratie liebenden "Amerikaner", die als uneigennützige, benevolente Befreier am Ende des 1. und 2. Weltkrieges mit "Care-Paketen" über den Atlantik (oder Japan betreffend über den Pazifik) kamen, um moderne Pädagogik zu bringen und die Welt von menschenverachtender Despotie, Intoleranz und Untertanengeist zu befreien, kommt hier schon gewaltig ins Wanken.

Zweifel an der Propaganda-Theorie der völlig uneigennützigen Benevolenz des US-Imperiums, nährt nicht zuletzt auch der militärstrategisch völlig sinnlose (die japanische Kapitulation stand ohnehin unmittelbar bevor) Abwurf von zwei Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki mit hunderttausenden Toten und Verletzten.

 

Im Weserkurier vom 17.07.1947 wird zur Hundertjahrfeier des wiederbelebten „Ellenerhof“ in Bremen Blockdiek (gegr. 1846 als evangelische Erziehungsanstalt für Jungen) in Anwesenheit der amerikanischen Besatzungsvertreter die Frau des Anstaltsleiters REHSE zitiert: „...Während des nationalsozialistischen Regimes mussten wir zu unserem Entsetzen feststellen, dass Zöglinge von besonders schwieriger Veranlagung, ... auf ungeklärte Weise verschwanden. ...".


Kinder und Jugendliche in Heimen der Behindertenhilfe und der Psychiatrie 1949-1975

Link zur Senatsantwort vom 24.10.2017   zur Umsetzung der Stiftung Anerkennung und Hilfe in Bremen.

 

Bei Heranziehung der bundesweiten Schätzung (800.000 Betroffene) im Rahmen der Errichtung der Stiftung könnte man für den Zeitraum 1949 bis 1975 von circa 8 000 bremischen Kindern und Jugendlichen ausgehen ohne Nennung von Verweildauer und Orten. Erschwerend kommt hinzu, dass bremische Kinder und Jugendliche mit einer Zuordnung „behindert“ oder „psychiatrisch erkrankt“ häufig, wie in dem beschriebenen Zeitraum (1949 bis 1975) üblich, in Einrichtungen außerhalb Bremens untergebracht und betreut wurden.

 

Das Bremer Hauptgesundheitsamt gibt (nur für das Jahr 1967) die Zahl von 181 Kindern und Jugendlichen in auswärtigen Heimeinrichtungen an, davon die Mehrzahl in den evangelischen "Rotenburger Anstalten" (heute die diakonischen: "Rotenburger Werke der inneren Mission e.V.") und im evangelischen "Hospital Lilienthal" (heute Dia­ko­ni­sche Be­hin­der­ten­hil­fe gGmbH - Aufarbeitung ?). 1969 wurde zudem in der evangelischen Klinik "Kloster Blankenburg" eine „Jugendpsychiatrische Station für Verwahrfälle und Imbezille“ (Aufarbeitung ?) mit bis zu 35 Betten eingerichtet.

 

245 Personen haben (bis zum Ende der Antragsfrist) einen Antrag in der bremischen Anlauf- und Beratungsstelle des "Fonds Heimerziehung" beim Amt für Versorgung und Integration Bremen (AVIB) gestellt, so der Datenbericht (31.08.2017) der Geschäftsstelle des Fonds „Heimerziehung“. Wieviele Anträge abgelehnt wurden mit der Begründung, dass die Betroffenen sich nicht in Jugendhilfeeinrichtungen sondern in Behinderten- und Psychiatrieeinrichtungen befunden hätten, sei nicht bekannt.

 

Die Arbeit der Stiftung wird von beauftragten Wissenschaftlern mit einem Forschungsprojekt begleitet. Ziel ist es, die Leid- und Unrechtserfahrungen intensiv zu beleuchten und zu erfassen sowie Art und Umfang der Geschehnisse nachvollziehbar zu machen. „Unter anderem sollen folgende Themengebiete bearbeitet werden:
— Darstellung von Leid und Unrecht, der rechtlichen Grundlagen für die Unterbringung sowie für die Verwendung von Zwangsmaßnahmen,
— Darstellung der individuellen Rechte der untergebrachten Kinder und Jugendlichen,
— Darstellung und Bewertung damaliger therapeutischer und pädago-gischer Konzepte sowie der damaligen Praxis und Lebenssituation in den Einrichtungen,
— Analyse und Darstellung von Einweisungsanlässen und kritische Be-wertung damaliger Diagnosen,
— Art und Häufigkeit von Grundrechts- und Menschenrechtsverletzun-gen,
— Darstellung von Reformansätzen.
Die Vergabe der wissenschaftlichen Aufarbeitung ist am 7. Juni 2017 erfolgt. Erste Ergebnisse werden voraussichtlich Mitte 2018 auf der Stiftungs-website veröffentlicht.“


Ob es darüber hinaus eigene bremische Aufarbeitungsprojekte geben kann, werde zurzeit beraten, verkündet der Bremer Senat.


Vortrag: " ...körperlich und geistig im hohen Maße minderwertig ! “

Zwangssterilisation, Aussonderung und„Ausmerze“ Bremer „Fürsorgezöglinge". Am 30. August 2016, Domkapitelhaus, Domsheide 8.

 

Von der Jugendfürsorge betreute oder in evangelischen Fürsorgeheimen lebende Kinder und Jugendliche waren in hohem Maße von den Auswirkungen der nationalsozialistischen Rassenhygiene betroffen. Mit dem Ziel die „Wertvollen“ zu fördern und die „Minderwertigen“ aus der Gesellschaft auszuschließen, übernahmen die dort Beschäftigten bei der Selektion der „Zöglinge“ eine zentrale Position. Die Bremer Kulturwissenschaftlerin Gerda Engelbracht, die im Auftrag des Diakonischen Werks, die Situation in den evangelischen Jugendheimen während der NS-Zeit erforscht, beleuchtet in ihrem Vortrag die Aspekte der Zwangssterilisation und Aussonderung.
In welchem Ausmaß waren Bremer „Fürsorgezöglinge“ von den Auswirkungen des „Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ betroffen? Aus welchen Institutionen kamen sie und welche Position vertraten die dortigen MitarbeiterInnen? Und was schließlich geschah mit Kindern und Jugendlichen, die als „unerziehbar“ und für die Gesellschaft wertlos eingestuft wurden?


ZUR VORTRAGENDEN: link und download: http://gerda-engelbracht.de/vortraege-2/


Sichten und Sieben. Evangelische Jugendhilfe und Fürsorgeerziehung in Bremen 1933-1945

 

Ca. 50 Zuhörer*innen kamen zum Vortrag der Kulturwissenschaftlerin Gerda Engelbracht

am 15. Januar 2016 ins Gemeindehaus der St. Petri Domgemeinde in Bremen

http://gerda-engelbracht.de/sichten-und-sieben-evangelische-jugendhilfe-und-fuersorgeerziehung-in-bremen-1933-1945/

 

Die Vortragsveranstaltung war 2016 Teil des Programms zum

„27. Januar - Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus“

 

Sie war auch die Auftaktveranstaltung für die weitere Recherche, Dokumentation und Veröffentlichung (zu den Bremer Jugendlichen in der Anstalt "Freistatt" (bei Diepholz) und St. Petri bereits , sowie für die Entwicklung adäquater Formen des mahnenden Gedenkens an die damaligen Opfer: Kinder und Jugendliche, die als (rassisch) "Minderwertige" aus der konstruierten "deutschen Volksgemeinschaft"ausgeschlossen wurden  und nachfolgend zwangssterilisiert und/oder nach einer vertuschenden Kette von Verlegungen in Anstalten oder Konzentrationslager getötet wurden.

 

Zitat aus dem Vorwort der Studie von Gerda Engelbracht udn Dr. Andrea Hauser:

 

"Die gegenwärtige Diskussion um offene oder geschlossene Unterbringung unbegleiteter minderjähriger Flüchtlinge in Bremen zeigt, wie aktuell das Thema nach wie vor ist. Trotz der heftigen gesellschaftlichen Debatten seit den 1970er Jahren zur Aufhebung der geschlossenen Fürsorgeeinrichtungen und der mit ihnen verbundenen Folgen wie Gewalt, Missbrauch und Entrechtung scheint heute die Möglichkeit einer geschlossenen Unterbringung wieder gesellschaftsfähig zu sein. Auch die Aufklärungen des Runden Tisches  Heimerziehung über die skandalösen Bedingungen der Heimerziehung in der deutschen

Nachkriegszeit, scheinen da wenig geändert zu haben. Umso wichtiger ist es, die Position in der historischen Auseinandersetzung zu schärfen und sich der geschichtlichen Verantwortung zu stellen. Die hier vorgelegte Grundlagenstudie will die Möglichkeiten einer Aufarbeitung der Geschichte der Bremer Jugendhilfe in der NS-Zeit eruieren, die damals im Wesentlichen in konfessioneller Hand lag. Angeregt wurde dies durch MitarbeiterInnen der diakonischen Kinder- und Jugendhilfeeinrichtungen."


Tausende Heimkinder wurden Opfer von Medikamententests

"Das katholische Franz-Sales-Haus in Essen ist schon im Jahr 2010 für seine Grausamkeit bekannt geworden. Ordensschwestern hatten die jungen Heimbewohner mit und ohne Behinderungen bis in die 1970er Jahre brutal gequält. Nun kam heraus, dass es neben den folterartigen Züchtigungen mit Stromkabeln oder heißen Bügeleisen und neben sexuellem Missbrauch auch regelmäßig "Betonspritzen" oder "Kotzspritzen" gab, wie die Heimkinder sie nannten. Also Medikamente, mit denen sie künstlich ruhig gestellt wurden oder die einen permanenten Brechreiz auslösten.

Doch nicht nur in Essen, bundesweit sollen in Deutschland Tausende Heimkinder zwischen 1950 und 1970 Opfer von Medikamententests geworden sein. Impfstoffe, Psychopharmaka und Libido hemmende Präparate habe man ihnen verabreicht. Zu diesem Ergebnis kommt die Krefelder Pharmazeutin Sylvia Wagner in ihrer Doktorarbeit."  Zitiert aus einem ZEIT-Artikel vom 10.11.2016


Mädchen- und Jungen-KZ in der Nazizeit, "Uckermark" und "Moringen"

Einige Bremer Jungen und Mädchen sind nachweislich dorthin deportiert worden, auch aus Bremer diakonischen Fürsorgeanstalten heraus, nicht ohne aktive Beteiligung der damaligen "übereifrigen" Heimleiter*innen. Das Ausmaß wurde in einer von der Bremer Diakonie mitfinanzierten historischen Aufarbeitung von Gerda Engelbracht und Dr. Andrea Hauser erforscht.

 

Das Jugend-KZ Uckermark (1942-45) für Mädchen

Das Jugend-KZ Moringen (1940-1945) für Jungen

Ein Wanderausstellung zu den beiden Jugend-KZ gibt es hier.

Modell des KZ-Geländes in der Gedenkstätte Moringen. Der Katalog zur Ausstellung ist über die Gedenkstätte bestellbar (www.gedenkstaette-moringen.de)


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Zeittafel 1933 - 1951 Diakonie Freistatt
Zeittafel ab 1933 Diakonie Freitatt_Inte
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Überlegungen zum Umgang mit Vergangenheitsschuld in der Jugendhilfe

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Prof. Dr. Manfred Kappeler: Überlegungen zum Umgang mit Vergangenheitsschuld in der Kinder- und Jugendhilfe
Uberlegungen_zum_Umgang_mit_Vergangenhei
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Der Ricklinger Fürsorgeprozess 1930 - Öffentliche Auseinandersetzung um Gewalt in kirchlichen Fürsorgeheimen schon in der Weimarer Zeit

"Die Fürsorgeerziehung von 'auffälligen' Kindern und Jugendlichen ... befand sich seit den 1920er-Jahren in der Krise. Das 1928 publizierte Buch 'Jungen in Not' von Peter Martin Lampel skandalisierte sie: Der Autor hatte als Hospitant in der Erziehungsanstalt 'Struves Hof' bei Berlin Erlebnisberichte von Fürsorgezöglingen gesammelt und veröffentlicht. Auf diesem Buch beruhte das ab 1929 kontrovers diskutierte Theaterstück 'Revolte im Erziehungshaus'. Die Fürsorgeerziehung wurde zum Gegenstand mehrerer Prozesse, die eine große mediale Aufmerksamkeit fanden: 1930 standen das Landerziehungsheim der Stadt Berlin in Scheuen (heute: Celle) und die Erziehungsanstalt Rickling (zwischen Neumünster und Oldesloe) sowie 1932 die Erziehungsanstalt Waldhof-Templin (Brandenburg) im Mittelpunkt. Der nun von Sarah Banach rekonstruierte Ricklinger Fürsorgeprozess richtete sich – wie im Fall Waldhof-Templin – gegen Erzieher eines Heimes der Inneren Mission (heute Diakonisches Werk). Mit ihrer Studie liegt erstmals eine wissenschaftlich fundierte Darstellung zu einem der großen Fürsorgeprozesse der Weimarer Republik vor."

(Auszug aus: Kurt Schilde: Rezension zu: : Der Ricklinger Fürsorgeprozess 1930. Evangelische Heimerziehung auf dem Prüfstand. Opladen & Farmington Hills  2007 , in: H-Soz-Kult, 08.07.2008 <www.hsozkult.de/publicationreview/id/rezbuecher-11489>.           Budrich Verlag 2007