2017/18 gab es nur noch 107 Studienanfänger*innen Soziale Arbeit an der Hochschule Bremen, das ist nun leicht erhöht worden. Die damalige Wissenschaftssenatorin Quante-Brandt (SPD) versprach 135 Anfängerplätze in der Bremer Bürgerschaft 2016. Versprach und hielt sich nicht dran.
Bis zur Jahrtausendwende konnten noch jährlich 250 Studienanfänger*innen starten. Der steigende Fachkräftebedarf, wie z.B. in der Kinder- und Jugendhilfe in Bremen , erfordert schon lange eine Anhebung der viel zu niedrigen Löhne, familiengerechte Arbeitszeiten und einen Ausbau der Studienkapazitäten Soziale Arbeit. Dahingehende Anträge in der Bürgerschaft wurden aber regelmäßig von SPD/Grünen abgelehnt, erst ab 2018 änderte sich das leicht. Die Folgen baden wir weiterhin aus. 3000 Bewerber*innen wollen jedes Jahr in Bremen Soziale Arbeit studieren und werden abgewiesen. Ein absurder Numerus Clausus von ca. 1,5 verwhertbei vielen engagierten Menschen den Studienbeginn an der öffentlichen Bremer Hochschule und treibt sie zu den profitorientierten privaten Anbietern, die saftige Gebühren nehmen. Ein Skandal. Sowohl der öffentliche Träger (Amt für Soziale Dienste u.a.) als auch die gemeinnützigen Träger klagen mit Recht seit Jahren über zu wenig Personal; eine qualitativ gute Erbringung sozialer Pflichtleistungen wird immer offensichtlicher gefährdet.
Die Verdichtung und Unterwerfung der Bachelor Studiengänge unter die Maxime des prüfungsrelevanten Stoffes (ECTS - Creditpoints-Studium), wie sie der von unternehmerischen Lobbygruppen (z.B. Bertelsmann -Stiftung und der OECD) getriebene europäische Bologna-Prozess erzwungen hat, bekommt nun mit dem "Dualen Studium" seinen dualen I-Punkt. Die Dienstherren bestellten nun passgenaues Anwendungswissen für den jeweiligen speziellen Träger. Das generalistische Studium schwindet dahin. Und zu allem Überfluss sind in der ab WS 2016 für den Öffentlichen Dienst gestarteten dualen Ausbildung in Bremen die verbeamteten "Sozialinspektoranwärter*innen" für insgesamt 8,5 Jahre an den Arbeitgeber gebunden.
Solche Ausbildungsverhältnisse gewinnen deshalb Atraktivität, weil A. nach dem Abbau des BAFöGs (2017 beziehen dieses nur noch 15% der Studierenden mit sinkender Tendez) wenigstens ein garantiertes Ausbildungsentgelt gezahlt wird und B. bei den Trägern die schiere Verzweiflung über grassierende Personalunterbesetzung ausgebrochen ist.
Aber der Preis, der dafür gezahlt wird ist hoch. Artikel 5 Grundgesetz: "Freiheit der Forschung und Lehre" wird faktisch/ökonomisch obsolet, denn für die nun dual Studierenden heißt es: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing". Die Loyalitätsbindungen an den Hauptvertragspartner (der sog. "Praxispartner") über Arbeits- und Ausbildungsrecht üben einen immensen Druck aus, der die Wahrscheinlichkeit schwinden lässt, dass Fehlentwicklungen beim Träger im Studium wissenschaftlich untersucht und kritisiert werden können. Und: Die Hochschule wird über wachsende Drittmittelabhängigkeit (ca. 1/3 nicht mehr öffentlich finanziert) für Studieninhalte-Umgestaltung im Interesse der privaten Träger missbrauchbar. Für jeden dual Studierenden Soziale Arbeit generiert die Hochschule sog. "Drittmittel"-Einnahmen vom dualen "Partner" (Unternehmen), um die schwindende Grundfinanzierung auszugleichen.
Es stellt sich auch die Frage, ob das 2016 angelaufene duale Konzept mit erst mal 40 dualen Studienplätzen (von 80 Studienplätzen ohne Hochschulpaktmittel) für den öffentlichen Dienst und große Träger der Wohlfahrtsverbände überhaupt noch den Namen reflexives STUDIUM verdient? Handelte es sich nicht eher um eine passgenaue BERUFS-AUSBILDUNG für das (unkritische ?) Funktionieren im JOB ist. Damit stuft sich die Hochschule Bremen aber selbst herab. Innovatives, über den aktuellen Wissensstand hinausweisendes Lehren, Forschen und Handeln wird strukturell noch weiter erschwert.
Am 12. Juni zog der AStA der Hochschule Bremen gegen deren Rektorat vor Gericht, um das 2016 verhängte Transparentverbot, siehe Foto, im Rahmen der
Hochschule-Bundeswehr-Kooperations-Debatte anzufechten. Viele Unterstützer des AStA waren zum Wall gekommen, mit Plakaten und Transparenten. Das Bremer
Verwaltungsgericht hat nun zwar zugunsten der Hochschule entschieden, wegen der Verwendung von Logos ohne Kenntlichmachung des Urhebers, es aber als rechtswidrig befunden, dass die
Hochschule gleichzeitig 500 Euro Zwangsgeld für ungenehmigtes Anbringen von Plakaten angedroht habe. Der Weserkurier berichtet. (siehe Zitate
unten)
Der AStA und dessen Rechtsanwalt argumentierten, "die Logos seien verändert worden, das falle unter Satire und künstlerische Freiheit.". Die ehemalige
Asta-Sprecherin Paulina Schade in der TAZ vom 13.06.: „Das Rektorat hatte kein Interesse an einem Diskurs – wäre es anders gewesen, hätten wir keine Klage einreichen
müssen.“ Die Vertreter des Allgemeinen Studierendenausschusses sehen sich in ihrer Meinungsfreiheit verletzt. „Es ist eine bürokratische Hürde der Hochschule, die uns in
unserem Protest, unserer Meinung beschränkt“, sagte Joana Hawner, zweite Vorsitzende des Asta. Was seien Aussagen eines Asta noch wert, wenn sie vom Rektorat kontrolliert werden. Die
Zivilklausel des bremischen Hochschulgesetzes besagt, dass Studium, Lehre und Forschung an bremischen Hochschulen ausschließlich friedlichen Zielen dienen sollen. Gut, dass die
AStA-Mitglieder daran erinnert haben. An der Hochschule für Künste wurde am Freitag ein abgewandeltes Plakat nun aufgehängt. An der UNI ist sowas nun auch in Planung. An der Hochschule Bremen wird demnächst ein solcher
Antrag eingereicht. Wir können gespannt sein ...
Was war geschehen: Bereits 1986 hat sich die damals junge Universität Bremen eine Zivilklausel gegeben. 2011 gab es dann heftige Debatten in der Öffentlichkeit, weil der Weltraum Rüstungskonzern OHB eine Stiftungsprofessur an der Uni einführen wollte, aber nur wenn die Zivilklausel fällt. In der Uni hat diese Debatte zu einer Stärkung der Zivilklausel geführt. Sie wurde erneuert und war jetzt wieder fest im Bewusstsein der Lehrenden und Studierenden verankert. Die Hochschule Bremen hat sich seit 2012 auf eine Zivilklausel verpflichtet. 2015 wurde die Zivilklausel auch gesetzlich verankert. - Aber am 03.Mai 2016 hat das Rektorat der Hochschule Bremen einen Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr abgeschlossen. Mit diesem Vertrag stellt die Hochschule der Bundeswehr Studienplätze im dualen Frauenstudiengang Informatik zur Verfügung und erhält im Gegenzug Finanzmittel. Damit verstößt das Rektorat der HS Bremen nach Ansicht des damaligen AStA (und auch des heutigen) gegen die Zivilklausel des bremischen Hochschulgesetzes sowie gegen die Zivilklausel der HS Bremen.
Miriam Strunge, Abgeordnete der Partei Die Linke in der Bremischen Bürgerschaft, sprach auf einer Kundgebung des Bremer Friedensforums am 21.03.2019 zur Zivilklausel an den Bremer Hochschulen und führte Beispiele auf, wie sie unterlaufen wird (hier ihre Rede).
Der Gesetzgeber hat verfügt, dass die Hochschulen selbst Verfahren zur Durchsetzung der Zivilklausel einführen müssen. Die Hochschulleitung ignorierte diese bisher, was zur Folge hat, dass der Kooperationsvertrag nicht innerhalb des akademischen Senates zur Debatte gestellt wurde.
Unterstützen wir weiter den ASTA ! ZIVILKLAUSEL DURCHSETZEN!
3000 Bewerber*innen wollen jedes Jahr in Bremen Soziale Arbeit studieren und werden abgewiesen. Jahrelang konnte die Bremer Hochschule 120 Studienanfänger starten lassen, 2015-2016 waren es dann jeweils 100 und nun 2017 waren es 80. Die Ressourcen des Hochschulpaktes scheinen hier umgeschichtet zu werden zugunsten des "dienstherreneigenen" dualen Studiengangs. In diesem Wintersemester wurden insgesamt nur noch 107 StudienanfängerInnenplätze vorgehalten (84 "normal", 6 Einkläger*innen und 17 Dual Studierende).
14. Mai 2018 von 15:30-19:00 Uhr im DGB-Haus
Eine Hamburger Initiative von Erstunterzeichnern bestehend aus Professoren*innen, Studierenden, Gewerkschaftern, Personalräten, sowie Praktiker*innen sammelt weiter unter einer gemeinsam verfassten Stellungnahme Unterschriften. Alle Unterschreibenden werden über den Fortgang der Ereignisse per Mail auf dem Laufenden gehalten. Die Forderung: Dem Fachkräftemangel solle die Stadt anders begegnen – durch eine Ausweitung der Studienplätze an HAW und EHS (Raues Haus).
Auszug: "Seit einiger Zeit setzt sich auch das Department Soziale Arbeit sehr intensiv mit der Frage nach der Entwicklung eines dualen Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit auseinander. Diese Diskussion begann bereits im Jahr 2016 gemeinsam mit der Freien und Hansestadt Hamburg. Sie erhielt eine neue Dynamik insbesondere durch den 2017 mit dem Präsidium der HAW Hamburg abgestimmten Prozess, der sich eng an der grundlegenden Prozessbeschreibung der HAW Hamburg zur Einrichtung von neuen Studiengängen orientierte. Die im Department geführte fachliche Verständigung basierte u.a. auf der Auseinandersetzung mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Entwicklung des dualen Studiums (2013) sowie mit dem Kerncurriculum Soziale Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit. Der Prozess umfasste einen breiten Diskurs zu dualen Studienangeboten sowohl innerhalb als auch außerhalb der Hochschule. Der überregionale Fachtag „Soziale Arbeit – dual“ fand am 01.06.2018 im Department Soziale Arbeit statt und bildete den Rahmen, um Fragen der Disziplin und Profession im Kontext der Thematik auch mit externen Akteur*innen, Expert*innen und Vertreter*innen der Fachgesellschaften zu diskutieren. Der mehrdimensionale und partizipative Diskussionsprozess mündete in der Entscheidung des Departmentrates über die Frage, ob aktuell die Entwicklung eines dualen Bachelorstudienangebots Soziale Arbeit weiterverfolgt werden soll. Der Departmentrat ist das demokratisch gewählte Organ im Department Soziale Arbeit, welches nach der Grundordnung der HAW Hamburg über den Vorschlag zur Einrichtung eines Studiengangs im Rahmen des Struktur- und Entwicklungsplans beschließt. In seiner Sitzung am 02.07.2018 hat der Departmentrat Soziale Arbeit sich mehrheitlich gegen eine weitere Entwicklung eines dualen Studienprogramms zum jetzigen Zeitpunkt entschieden. Die standortbezogene Begründung setzt auf der fundierten Analyse der vielfältigen Ausbildungsinteressen auf. Sie bezieht die aktuellen Implikationen sowie Herausforderungen für die Disziplin- und Professionsentwicklung der Sozialen Arbeit in der Metropolregion Hamburg ein. Zentrales Argument ist dabei, dass die Kompetenz zum Theorie-Praxis-Transfer im Studium der Sozialen Arbeit als ein gefordertes Qualifikationsziel nicht nur durch das 100tägige Praxisstudium nach dem Anerkennungsgesetz Soziale Arbeit (2013), sondern auch durch die in dem derzeitigen Studium bereits vorgesehenen vielfältigen lehrbegleitenden Praxisbezüge sichergestellt werde. Die Realisierung dieses Qualifikationsziels ist aus der Sicht des Departmentrates nicht an die Entwicklung eines dualen Studienmodells gebunden."
LINK zu dem vollständigen Dokument auf der WEB-Seite der HAW.
Grundsätze und Dimensionen Sozialer Arbeit - Soziale Arbeit als gesellschaftliches Handeln
"Zweck professioneller Sozialer Arbeit ist es, auf sozialem Gebiet Veränderungen zu erreichen - und zwar sowohl in der Gesellschaft allgemein als auch bei der Entwicklung des einzelnen Individuums." (International Federation of Social Work, Definition of the Social Work Profession, 1982) Die Soziale Arbeit konzentriert sich daher im wesentlichen auf zwei komplexe Aufgabenbereiche gesellschaftlichen Handelns. Zum einen unterstützt sie einzelne Individuen und bestimmte sozio-ökonomisch unterprivilegierte Gruppen oder Gemeinwesen bei der effektiven Lösung ihrer durch das Gesellschaftssystem verursachten individuellen und kollektiven Probleme. Zum anderen soll sie aber auch die Gesellschaft selbst dazu veranlassen, soziale Entwicklungen rückgängig zu machen bzw. zu vermeiden, die problemverursachend oder -verschärfend sind.
Soziale Arbeit handelt deshalb sowohl reaktiv als auch aktiv intervenierend. Sie verhilft den gesellschaftlich Ausgegrenzten und Unterprivilegierten zu einem menschenwürdigen Dasein, indem sie diese befähigt, ihre Bedürfnisse zu befriedigen, sich zu ernähren, eine Wohnung zu finden, über ein Einkommen zu verfügen, medizinisch versorgt zu werden, kurz: alle lebensnotwendigen Hilfen und Dienstleistungen zu erhalten. Sie gibt Rat, unterstützt, fördert, befähigt und zeigt Lösungsmöglichkeiten auf. Sie plant, organisiert und koordiniert die Sozialen Dienstleistungen. Sie übernimmt Managementaufgaben und beschafft die notwendigen Ressourcen. Sie mischt sich aber auch in das politische Geschehen ein - als gesellschaftskritische Instanz und indem sie auf zahlreichen Gebieten der Politik die sozial schädlichen Folgen aufzeigt, Änderungen fordert und alternative Konzepte entwickelt.
Die professionelle Soziale Arbeit „engagiert sich für die Aufgaben der Wohlfahrt und der erfüllten Selbstbestimmung menschlichen Seins; für die Entwicklung und kontrollierte Nutzung der human- und gesellschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse; für die Entwicklung all derjenigen Ressourcen, die einen Beitrag leisten zur Befriedigung der Bedürfnisse und Interessen von Individuen und Gruppen, auch im überregionalen und internationalen Maßstab; und sie setzt sich dafür ein, soziale Gerechtigkeit herzustellen" (International Federation of Social Work, International Code of Ethics, 1976). Auf der Basis dieser Grundsätze ist die professionelle Soziale Arbeit ein schwieriges und verantwortungsvolles Feld gesellschaftlichen Handelns. Sie erfordert ein umfassendes Wissen, besondere berufliche Fähigkeiten und ein Höchstmaß an persönlicher Einsatzbereitschaft. Sie setzt den Erwerb von Qualifikationen voraus, die in der beruflichen Arbeit selbst vertieft und - angesichts der sozio-ökonomischen Umwälzungen und neuer sozialer Ungleichheiten - immer wieder erneuert werden müssen."
Lea Degener und Jorrit Schwagereck studieren Soziale Arbeit (B.A.) an der HAW Hamburg und sie sind dort aktiv im Fachschaftsrat Soziale Arbeit. Der obige Titel stammt von ihrem sehr guten Artikel im FORUM für Kinder und Jugendarbeit 4/2017
Hier ihr Schluss-Plädoyer:
"Die Felder Sozialer Arbeit bilden Brennpunkte des parteilichen Aushandelns unterschiedlicher Interessen – die Hochschule ist davon nicht ausgenommen. Was für parteiliche, kritische Soziale
Arbeit gilt, gilt auch für die Orientierung von Lehre, Wissenschaft und Forschung: Ihre Möglichkeiten, zu einer positiven Entwicklung beizutragen, lassen sich nur gegen ökonomische
Verwertungsinteressen
entfalten. Gerade die Hochschulen haben gute Möglichkeiten zur Herausbildung und Stärkung eines kritischen Bewusstseins und Erprobung solidarischen Handelns.
Die thematisierten „Reformen“ an den Hochschulen sind also auch als Versuche zu werten, kritisches Potential gegenüber herrschender Politik zu behindern. Das sollte unserer Einschätzung nach
wieder mehr in den Fokus rücken. Der Einfluss von Studierenden auf die Bedingungen von Wissenschaft, Forschung und Lehre der Sozialen Arbeit muss wieder größer werden."
Was bedeutet Wissenschaft ? Wissenschaftlich bedeutet: kritisch (nicht angepasst), innovativ (nicht berufstüchtig), forschend (nicht wiederkäuend), generalistisch und interdisziplinär (keine Fachidioten), orientiert an den Interessen der Menschen (nicht der wirtschaftlich potenten Auftraggeber und Zahlmeister).
Notwendig ist eine Auseinandersetzung mit der OECD und demokratisch nicht legitimierten Rolle des weltweiten (Medien)Konzerns Bertelsmann (milliardenschwere Familie Mohn), der Bertelsmann-Stiftung und ihres "Centrums für Hochschulentwicklung CHE" (bekannt durch interessengeleitete Rankings und Studien, die ständig in der Bertelsmann-Presse auftauchen) bei der neoliberalen Umformung.
Immer größere Teile der Bevölkerung drfiten in Richtung Niedriglohn, relative Verarmung und Wohnungsnot, bei gleichzeitiger Reichtumsakkumulation der Großkonzerne und ihrer Besitzer, der 1% Superreichen (Quandt und Klatten, Haniel, Piech und Porsche usw. usf). Die Care- und Sorgekrise (besonders in den Einelternhaushalten) und das Schwinden des Sozialen (auch in der Sozialen Arbeit selbst) sind Alarmsignale.
Wie gelingt es den Herrschenden, das Studium/Ausbildung von Sozialarbeitern*innen so auszurichten, dass sie sich auf kritiklosen "Kitt" (Hilfe u. Kontrolle) reduzieren lassen, für diese zutiefst ungerechte Gesellschaft. Wie werden die für dieses System passgenauen Sozialverwaltungskadetten ausgebildet ?
Wo gibt es noch wissenschaftliche Möglichkeitsräume, wo notwendige Kritik und Innovation für eine gerechte Gesellschaft gedeihen kann ? Letzteres ist durch den "Bologna-Prozess" massiv ausgedünnt worden und wird nun mit den von den Anstellungsträgern über Drittmittel, Ausbildungsverträge und Weiterbeschäftigungsverpflichtungen dominierten dualen Studiengängen und der zunehmenden Privatisierung der Ausbildungsgänge Soziale Arbeit endgültig auf "Employability" (Beschäftigbarkeit) getrimmt.
Mit breiter Beteiligung (Achtung Satire) der Lehrkräfte, der Studierenden, der Fachöffentlichkeit und der freien Träger Sozialer Arbeit hat der für Curricula eines Sozialarbeiterstudiums prädestinierte Staatssekretär im Finanzressort Henning Lühr den natürlich alternativlosen Dualen Studiengang Soziale Arbeit in einem ergebnisoffenen Diskurs gemeinsam erarbeitet. Die Fachkräfte waren gut informiert und einigten sich darauf, dass die simple Erhöhung der Studienplatzzahlen von derzeit 80 (Hochschulpakt finanzierte nicht mitgezählt), auf die sich jährlich 3000 Studieninteressierte bewerben, überhaupt nicht in Frage kommt, um dem um sich greifenden Fachkräftemangel zu begegnen. Außerdem ist ja Hochschulausbildung nur dafür da, um passgenaue Sozialinspektoranwärter*innen auszubilden, die nur ein Arbeitsfeld kennen: das Amt für Soziale Dienste.
An der Hochschule Bremen wurde ab 2016 gegen den Widerstand der Professoren*innen und Studierenden auf Betreiben der SPD/Grünen Landesregierung 15 Studienplätze (erstmal- Ziel 40)
abgezweigt im Studiengang Soziale Arbeit, um parallel einen "Dualen Studiengang" Soziale Arbeit zu installieren. Ein Modellprojekt für 5 Jahre.
Dual heißt im jetzigen fragwürdigen Modell beschäftigt als Sozialinspektoranwärter*innen bei der Stadt (mit Unterschrift deklarierte Loyalität), mit einem entsprechenden Einkommen (z.Zt. ca. 1.100 Euro brutto), zum Studium abgeordnet an die Hochschule; neben dem normalen Studium regelmäßig arbeiten in der vorlesungsfreien Zeit bei der Stadt, nicht nur im Amt für Soziale Dienste sondern auch bei anderen Dienststellen wie den Jobcentern, dem Justizdienst, den Schulen usw.. Wegfall des Anerkennungsjahres und nach dem Studium per Vertrag 5 Jahre gebunden an den "Dienstherren". Wer das nicht einhält, muss Geld zurückzahlen.
Art. 5 Grundgesetz
(3) Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.
Diese Lehrfreiheit an einer öffentlichen Hochschule scheint aus strukturellen Gründen nun aus Personalnot und selbst produziertem Arbeitskräftemangel obsolet zu werden, wenn im Bremer Dualen Studiengang Soziale Arbeit B.A. Sozialinspektoranwärter*innen zu Beginn ihres Studiums gemäß § 58 Abs. 1 BBG den Diensteid leisten müssen, in vom Dienstherren vorgeschriebenen Praxisstellen arbeiten müssen und Studieninhalte subtil immer mehr auf den Dienstherren ausgerichtet werden.
Laut BVerfG “wird jedem, der im Bereich von Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig ist, ein individuelles Freiheitsrecht gewährt, das als Abwehrrecht die wissenschaftliche Betätigung gegen staatliche Eingriffe schützt. […] Jeder, der in Wissenschaft, Forschung und Lehre tätig ist, hat - vorbehaltlich der Treuepflicht gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GG - ein Recht auf Abwehr jeder staatlichen Einwirkung auf den Prozeß der Gewinnung und Vermittlung wissenschaftlicher Erkenntnisse. Damit sich Forschung und Lehre ungehindert an dem Bemühen um Wahrheit ausrichten können, ist die Wissenschaft zu einem von staatlicher Fremdbestimmung freien Bereich persönlicher und autonomer Verantwortung des einzelnen Wissenschaftlers erklärt worden. […] Zugunsten der Wissenschaftsfreiheit ist stets der diesem Freiheitsrecht zugrundeliegende Gedanke mit zu berücksichtigen, dass gerade eine von gesellschaftlichen Nützlichkeits- und politischen Zweckmäßigkeitsvorstellungen befreite Wissenschaft dem Staat und der Gesellschaft im Ergebnis am besten dient.“ (Beschluss des Ersten Senats vom 1. März 1978; BVerfGE 47, 327)
Das generalistische Studium, die Freiheit der Lehre (Artikel 5 Grundgesetz) und das sinnvolle (sicherlich verbesserungsbedürftige) Anerkennungsjahr, wird unterhöhlt, bzw abgeschafft im jetzigen Bremer dualen Konstrukt.
Der richtige Weg wäre: Normale Studienplätze deutlich ausbauen und die Arbeitskonditionen (besonders die Höhe und Einstufungen bei der Entlohnung) so attraktiv gestalten, dass Hochschulabgänger*innen sich gerne hier in Bremen (auch bei der Sozialbehörde) um eine Anstellung bemühen.
Der Mangel an Fachkräften in der Sozialen Arbeit erfordert Antworten:
Der Fachschaftsrat der Studierenden am Department Soziale Arbeit an der HAW Hamburg hat auf seiner Homepage alle Materialien, die gegen einen "Dienstherreneigenen Studiengang" sprechen, übersichtlich zur Verfügung gestellt und bemüht sich um bundesweite Vernetzung angesichts der auch in anderen Städten zu beobachtenden Tendenzen zur Etablierung dualer Studiengänge Sozialer Arbeit.
(1) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für die Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch die Gesamtverantwortung einschließlich der Planungsverantwortung. (2) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sollen gewährleisten, dass zur Erfüllung der Aufgaben nach diesem Buch
1. die erforderlichen und geeigneten Einrichtungen, Dienste und Veranstaltungen den verschiedenen Grundrichtungen der Erziehung entsprechend rechtzeitig und ausreichend zur Verfügung stehen; hierzu zählen insbesondere auch Pfleger, Vormünder und Pflegepersonen;
2. eine kontinuierliche Qualitätsentwicklung nach Maßgabe von § 79a erfolgt.
Von den für die Jugendhilfe bereitgestellten Mitteln haben sie einen angemessenen Anteil für die Jugendarbeit zu verwenden.
(3) Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe haben für eine ausreichende Ausstattung der Jugendämter und der Landesjugendämter zu sorgen; hierzu gehört auch eine dem Bedarf entsprechende Zahl von Fachkräften.
Achtes Buch Sozialgesetzbuch - Kinder- und Jugendhilfegesetz - Fünftes Kapitel - Träger der Jugendhilfe, Zusammenarbeit, Gesamtverantwortung (§§ 69 - 81) Vierter Abschnitt - Gesamtverantwortung, Jugendhilfeplanung (§§ 79 - 81). Fassung aufgrund des Gesetzes zur Stärkung eines aktiven Schutzes von Kindern und Jugendlichen (Bundeskinderschutzgesetz) vom 22.12.2011 (BGBl. I S. 2975), in Kraft getreten am 01.01.2012
Ein SPD/Grüner Bürgerschafts-Beschluss vom 26. Mai 2016 zu Möglichkeiten zum Seiteneinstieg (Soziale Arbeit mit Flüchtlingen) öffnet in der beschlossenen Form der Erosion des Fachkräftegebots Tür und Tor:
"Die Bürgerschaft (Landtag) fordert den Senat auf, zur Sicherung des gestiegenen Personalbedarfs im Flüchtlingsbereich,
a) die Verwaltung dazu anzuhalten, den nach dem Fachkräfteangebot gegebenen Spielraum voll auszuschöpfen.
b) die Möglichkeiten zum Seiteneinstieg im Bereich Kindertagesstätten, Schulen sowie sozialpädagogische Unterstützung und Betreuung konsequent auszubauen.
c) auch das fachliche Potenzial von Flüchtlingen und anderen Menschen mit ausländischen Abschlüssen voll auszuschöpfen und im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten verstärkt Anerkennungen und Teilanerkennungen von Abschlüssen vorzunehmen.
d) die notwendigen Ausbildungskapazitäten zu schaffen. Der Bürgerschaft (Landtag) ist binnen drei Monaten zu berichten."
Die Formulierungen "Spielraum voll ausschöpfen" und "die notwendigen Ausbildungskapazitäten zu schaffen" untergraben das Fachkräftegebot und leisten der unseligen Tendenz Vorschub, Schmalspurweiterbildungen von wenigen Wochen oder Monaten zu "Ausbildungen" umzudeklarieren.
Leider ist dieses traurige Spiel - die Personalnot in der Flüchtlingsbetreuung ausnutzend - bereits in der Umsetzung in Kooperation mit einigen Weiterbildungsträgern: z.B. die von der ComFair GmbH in Bremen angebotene sog. "duale Weiterbildung" zum "Sozialberater/in für Migration und Flüchtlingshilfe (IHK)" mit "Zertifikat der Oldenburgischen IHK oder Handelskammer Bremen", nach einem 6-monatigen Lehrgang und anschließender 6-monatiger sog. "arbeitsplatzbezogener Qualifizierung", also nix anderes als schlecht bis gar nicht bezahlte Praktika. Die ComFair GmbH verkündet auf ihrer WEB-Seite stolz über ihre verschiedenen Sozialberater/in-Ausbildungen, "sich am tatsächlichen Bedarf von Arbeitsmarkt und Unternehmen [zu] orientieren". Der Bedarf wurde in den Jahren 2015-2016 von der Unterbringungs- und Betreuungsnot für die vielen Geflohenen in Bremen geprägt.
SPD/Grüne lehnten in der gleichen Bürgerschaftssitzung vom 26.05.2016 diesen sehr vernünftigen Änderungsantrag der Linken ab: "...
die notwendigen Möglichkeiten und Kapazitäten zur berufsbegleitenden, abschlussorientierten Qualifizierung zu schaffen, damit aus dem Seiteneinstieg auch eine dauerhafte Beschäftigung
mit der entsprechenden formalen Qualifikation und Entlohnung entsteht."
Das Bafög bedarfsdeckend/inflationsausgleichend auf 1050,- Euro muss für ALLE elternunabhängig erhöht werden muss, gerade angesichts dramatisch ansteigender Mieten. Die monatlichen Ausgaben von Studierenden 2016 für Miete einschließlich Nebenkosten lagen bei 323 € (2012 294 €). Sog. "gesundheitsbezogene Ausgaben" (Krankenversicherung, Arztkosten, Medikamente usw.) sind um 29 Prozent gestiegen (2016: 80 €, 2012: 62 €) nach der 21. Sozialerhebung des Studentenwerks. Die Ausgaben für "Verkehrsmittel" stiegen durchschnittlich von 78 € (2012) auf 94 € (2016).
Zudem wurden die Steuerfreibeträge auf das Bruttoeinkommen der Eltern in der Bafög-Anrechnung nicht an die Bruttolohnerhöhungen angepasst, so dass 90.000 Studierende in Deutschland aus der Förderung herausgefallen sind. Ein Skandal. Laut Berechnung des DGB sind es aktuell nur noch 15% , die BAFöG überhaupt noch bekommen. (Siehe unten Download der Studie)
86% der Studierenden muss nach der 21. Sozialerhebung des Studentenwerks finanzielle Unterstützung von den Eltern (durchschnittlich 541 Euro im Monat) in Anspruch nehmen. Durchschnittlich 385 Euro müssen die Studierenden in Form von "bezahlten Tätigkeiten zur Bestreitung des Lebensunterhaltes" beisteuern (2012: 300 €).
Und gerade in der Endphase des Studiums müssen angesichts der unrealistischen Regelstudienzeiten viele Studierende voll arbeiten gehen, um ihr Studium abzuschließen.
Stipendien (2016: 5 %, 2012: 4 %) und der Studienkredit der Kreditanstalt für Wiederaufbau KfW (2016: 5 %, 2012: 3 %) müssen häufiger in Anspruch genommen werden. Die durchschnittliche Höhe der KfW-Studienkredite liegt bei 463 € (2016). Eine schleichende (meist von der FDP favorisierte) Amerikanisierung der Studienfinanzierung, die Berufsanfänger*innen immer häufiger mit einem Schuldenberg von ca. 30.000 € (die monatl. 463 € hochgerechnet auf 5 Jahre) belastet.
Der aktuelle (zinslose !) Darlehensanteil im Bafög sollte ganz abgeschafft werden. Aktuell müssen 50% zurückgezahlt werden, der Rückzahlungshöchstbetrag ist bei 10.000 Euro gedeckelt.
Die Altersgrenzen von 30 bzw. 35 Lebensjahren (letztere für geförderte Masterstudiengänge) stellen vor allem für Menschen ein Hindernis dar, die im Anschluss an eine Berufsausbildung, nach Jahren der Berufstätigkeit oder nach einer Familienphase studieren oder sich ausbilden möchten oder die Hochschulzugangsberechtigung anders als auf dem traditionellen Weg erworben haben. In diesem Zusammenhang dürfen auch Studierende, Schülerinnen und Schüler in Teilzeit nicht generell von einer Förderung ausgeschlossen werden (Beispiel Psychotherapeutenausbildung).
Der Kreis der Berechtigten muss deutlich ausgeweitet werden: Schülerinnen und Schüler an weiterführenden allgemeinbildenden Schulen in der Oberstufe, Berufsfachschulen sowie Fach- und Fachoberschulklassen sollen eine BAföG-Förderung erhalten können, auch wenn sie noch zuhause Wohnen.
„Das Land Bremen hat eine gesetzliche Zivilklausel, die in § 4 des Hochschulgesetzes vorschreibt:
„Die Hochschulen verfolgen in Forschung, Lehre und Studium ausschließlich friedliche Zwecke. Die den Hochschulen vom Land und von Dritten zur Verfügung gestellten Mittel sollen ausschließlich für
Vorhaben verwendet werden, die diesen Zwecken dienen.“ (Auszüge aus Kleine Anfrage der Linken an den Senat)
Die Hochschule Bremen gab sich am 12. Juni 2012 eine Zivilklausel:
„Studium, Lehre und Forschung an der Hochschule Bremen dienen ausschließlich friedlichen Zwecken. Der Akademische Senat lehnt die Beteiligung von Wissenschaft und Forschung an Projekten mit
militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung ab und fordert die Mitglieder der Hochschule auf, derartige Forschungsthemen und -mittel abzulehnen.“
Die Bundeswehr verfolgt definitiv keine „ausschließlich friedlichen Zwecke“ und kann im Rahmen der Gesetzeslage kein geeigneter Kooperationspartner sein. Trotzdem haben Hochschulleitung und
Bundeswehr am 3. Mai 2016 einen Kooperationsvertrag geschlossen, der die Ausbildung von Armeeangehörigen im dualen Internationalen Frauenstudiengang Informatik (IFI) vorsieht. Zum Wintersemester
2016/2017 begannen die ersten Bundeswehrauszubildenden an der Hochschule ihr Studium. Die an der Hochschule ausgebildeten Bundeswehr-Informatikerinnen sollen nach Angaben des BMVg später in den
Bereichen internationale Rüstungskooperation, Beschaffung von Rüstungsgütern, Informationstechnik und wehrtechnischer Entwicklung eingesetzt werden.
Link zu der Quelle der folgenden Zeilen: Am 23. Mai hat der Akademische Senat der Alice Salomon Hochschule in Berlin (ASH) beschlossen, ab nächstem Semester keine Kooperation mehr mit der Bundeswehr
einzugehen.
Das konnte man beim AStA ASH nachlesen und wurde am 31. Mai im Neuen Deutschland berichtet.
Die ASH widmet sich der Gesundheits-, Versorgungs-, Sozialarbeits- und Bildungsforschung. Der
Studiengang Gesundheits- und Pflegemanagement bietet Module für die akademische Qualifikation von Soldaten an. Partner ist der Zentrale Sanitätsdienst der Bundeswehr.
Der unbefristete ASH-Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr wurde erst in diesem Jahr au
fgrund einer Grünen Anfrage im letzten Jahr bekannt, welche Kooperationen und Drittmittelverträge es zwischen den Vertragshochschulen des Landes und der Bundeswehr gebe.
Das besonders Interessante. Die ASH hat keine Zivilklausel, aber einen AStA und StuRa, die sich
sehr aktiv um die studentischen Belange und um gesellschaftliche Fragen kümmern. Sicherlich
vor diesem Hintergrund ist die vorbildliche Senatsentscheidung zu verstehen.
Zivilklausel-Verstoß HS Bremen . Ganz anders an der Hochschule Bremen. Dort gibt es eine Zivilklausel und seit einem Jahr einen dagegen verstoßenden
Kooperationsvertrag mit der Bundeswehr. In einem kleinen bundesweiten Zivilklauseltreffen am 9. Oktober 2016 bei NatWiss in Berlin war der Gedanke entwickelt worden: Der Erfolg oder Misserfolg
der Bundeswehr-Offensive an der Hochschule Bremen ist ein Präzedenzfall für die gesamte Zivilklausel-Bewegung.
Besonders in den drei bremischen Legislaturperioden der Großen Koalition (SPD/CDU) von 1995-2007 wurde der Studiengang Soziale Arbeit an der Hochschule Bremen von ursprünglich über 200 Anfängerplätzen auf 80 (ab 2007 +40 Hochschulpakt finanzierte bis 2020) runtergekürzt und die Universitäts-Studiengänge Behindertenpädagogik und Sozialpädagogik ganz eingestampft.
Nach Jahren der drastischen Unterversorgung will Bremen nun endlich an der UNI ab WS 2018/19 beginnen, mit dem neuen Studiengang „Inklusive Pädagogik“ ... eine der vielen Versorgungslücken schließen.
Nicht die naheliegendste Lösung, nämlich die seit Jahren von allen Akteuren geforderte deutliche Anhebung der Kapazitäten im Studiengang Soziale Arbeit auf 200 Studienanfängerplätze und die Reetablierung erziehungswissenschaftlicher Studiengänge an der Universität, sowie eine deutliche Verbesserung der Arbeitskonditionen im Arbeitsfeld wird aktuell in Bremen und Hamburg umgesetzt oder geplant, sondern ein "dualer" oder "dienstherreneigener Studiengang" mit langfristiger "Bindung an den Arbeitgeber" (in Bremen sogar über das Beamtenrecht).
Der von der bremischen Landesregierung, seinem Finanzressort (Staatsekretär Lühr, SPD) und dessen Aus- und Fortbildungszentrum (AFZ), mit erheblichem politischem Druck als "Lösung" für die Personalnot herbeigeführte "Studiengang Soziale Arbeit Dual (B.A.)" lief mit vorerst 15 Plätzen im Herbst 2016 an. Nun sollen es 40 duale Studienanfängerplätze sein, weitere "freie" Träger haben sich ein Stück vom "Personalkuchen" gesichert , was eine ungeheure Dominanz entfaltet. Wegen der drastischen Personalnot schielten auch freie Träger in Bremen neidisch auf diesen exklusiven Zugriff auf Personalkapazitäten, die ihnen - angesichts von hoher Fluktuation - nicht mehr weglaufen können, weil sie mehrjährige Bleibeverpflichtungen eingehen müssen. Die nötige Refinanzierung der 1800,- bis 2.500 Euro pro Semester pro dual Studierendem wurde den "freien Trägern" in Geheimverhandlungen staatlicherseits zugesichert.
Der Studiengang Soziale Arbeit an der Hochschule meldet zurück, dass immerhin in den Verhandlungen erreicht wurde, dass die dual Studierenden (erst mal) die gleichen Studieninhalte gelehrt bekommen, wie alle anderen auch, und eben keine auf Recht und Verwaltung u.a. zugeschnittene Lehrplanveränderung stattfindet. Eine schleichende Sonderveranstaltung für die Dual Studierenden entwickelt sich aber schleichend trotzdem. Da werden Sondergruppen DS eingerichtet, Sonder Dual Studiengangskommissionen tagen, Lehrbeauftragte für die dual Studierenden kommen eben genau von den passenden Trägern und extra Personal wird zur Begleitung der Anleiter*innen und der Dualen in Einsatz gebracht.
In dem Leitfaden zum Dualen Studiengang dazu heißt es einleitend:
„Insbesondere auf dem Gebiet der Sozialen Arbeit zeichnete sich in den letzten Jahren ab, dass der Bedarf an Nachwuchskräften durch die bisherigen Strategien zur Personalgewinnung nicht
hinreichend gedeckt werden konnten. Durch die Einrichtung des Studienganges Soziale Arbeit Dual (B.A.) soll eine frühzeitige Bindung der Studierenden an den Arbeitgeber Freie Hansestadt Bremen
erreicht werden." (Vorwort Leitfaden).
Die gewünschte "Bindung" wird mit einer Kombination aus Zuckerbrot und Peitsche herbeigeführt, d.h. es gibt mehr Geld, aber wer das Studium abbricht oder die nachfolgende 5-jährige Arbeitsverpflichtung nicht einhält bekommt es mit erheblichen Rückforderungen der Hansestadt Bremen zu tun.
"Für die gesamte Dauer des Studiums werden die Studierenden in ein Beamtenverhältnis auf
Widerruf bei der Freien Hansestadt Bremen eingestellt. Die Ernennung erfolgt als Sozialinspektoranwärterin bzw. Sozialinspektoranwärter.
Zudem erhalten die Studierenden auf der Grundlage des Bremischen Besoldungsgesetzes
monatlich sogenannte Anwärterbezüge ... [zur Zeit über 1100,- Euro Brutto, d.V.]
Die Anwärter_innenbezüge werden mit der Auflage gewährt, dass
• die Ausbildung nicht vor Ablauf der in den Ausbildungs- und Prüfungsvorschriften
oder im Einzelfall festgelegten Ausbildungszeit aus einem von der_dem Studierenden zu
vertretenden Grunde endet und
• die_der Studierende im Anschluss an die Ausbildung nicht vor Ablauf einer Dienstzeit
von mindestens fünf Jahren aus einem von ihr_ihm zu vertretenden Grunde aus dem
öffentlichen Dienst ausscheidet. Eine Nichterfüllung dieser Auflagen hat die Rückforderung
eines Teiles des Bruttobetrages der Anwärter_innenbezüge zur Folge. (S. 20)
Die bremische Verwaltungsseite behält das ganze Auswahlverfahren zur Sicherung der beabsichtigten Bindung voll in ihrer Hand, der Studiengang Soziale Arbeit der Hochschule scheint hier
keine Rolle mehr zu spielen:
"Das Auswahlverfahren besteht aus einer Vorauswahl, in der das AFZ die Hochschulzugangsberechtigung prüft, einem schriftlichen Eignungstest und einem mündlichen Teil der Eignungsfeststellung.
Im schriftlichen Eignungstest liegt der Fokus auf der Arbeitseffizienz, der Verarbeitungskapazität, der Rechtschreibkompetenz sowie auf verschiedenen Themenschwerpunkten aus dem Bereich des
Allgemeinwissens. Es handelt sich um einen Präsenztest, der in den Räumlichkeiten des AFZ durchgeführt wird.
Der eintägige mündliche Teil der Eignungsfeststellung besteht aus einer Gruppenaufgabe, in
der die Bewerber_innen in Interaktion mit Mitbewerber_innen treten müssen, einem Rollenspiel
und einem daran anschließenden Interview. Ein besonderes Augenmerk bei der
Auswahl der Studierenden liegt auf der Sozialen Kompetenz sowie der Berufsmotivation." (S. 19)
Die Ausbildung wird auf der WEB-Seite des Aus- und Fortbildungszentrums der Hansestadt Bremen unter der Überschrift "Ausbildung im bremischen öffentlichen Dienst - wie sieht das eigentlich aus?" folgendermaßen beworben:
"Im Referat "Berufliche Ausbildung und Praktika" des AFZ wird Ausbildung in zwei verschiedenen Schwerpunktbereichen organisiert:
Zum einen wird hier der Nachwuchs für die allgemeine Verwaltung ("Verwaltungsfachangestellte/-r" und "Verwaltungsinspektor/in / Duales Studium "Public Administation") und im Sektor der
Sozialpädagogik und der Sozialarbeit ("Sozialinspektor/in / "Soziale Arbeit Dual") ausgebildet. ..."
Auch auf die sog. "Einsatzorte am Lernort Praxis" behält sich das Aus- und Fortbildungszentrum der Hansestadt Bremen den letzten Zugriff vor, Studierende können Wünsche äußern,
mehr nicht, die Hochschule hat nichts zu melden:
"Wie bereits ausgeführt, werden die Studierenden während des siebensemestrigen Studiums
während der TPV-Phasen einer Stammpraxisstelle zugeordnet. Hierfür kommen verschiedene
Einrichtungen des bremischen öffentlichen Dienstes in Frage. So ist ein Praxiseinsatz
beispielsweise in der Justizvollzugsanstalt, der Werkstatt Bremen, in der Jugendhilfe, im Bereich der Amtsvormundschaften, der Erziehungsberatungsstelle oder auch im ambulanten
Sozialdienst für junge Menschen möglich. Die Zuordnung zu den Stammpraxisstellen erfolgt durch das AFZ. Sofern möglich, werden hierbei die Interessen der Studierenden berücksichtigt."
Ein weiteres in dem deutschlandweiten Diskurs oft zu hörendes Argument für "dienstherreneigene Studiengänge", ist der unterstellte fehlende oder unzureichende Praxisbezug der bisherigen
Hochschulausbildung. In dem schon oft zitierten Leitfaden heißt es dazu lapidar:
"Das Ziel des Studiums ist der Erwerb von Kompetenzen, um die beruflichen Aufgaben bewältigen
zu können...." (Punkt 5.2. auf Seite 25)
Die duale Studienordnung wimmelt nur so von "Praxisanteilen im Theorie-Praxis-Verbund (TPV)", „Entsendenden Dienststellen“ und „Praxisstellen“, dem "gezielten Praxiseinsatz im Sinne der
Praxisaufträge". Und:
"Die entsendende Dienststelle kann die Ableistung der Praxis im Projektzusammenhang bei einer Praxisstelle ihres eigenen Verfügungsbereichs verlangen."
Die meist nicht belegte Kritik am unzureichenden Praxisbezug der generalistischen Ausbildung von Sozialarbeitern*innen wird seit über 40 Jahren deutschlandweit an der Hochschulausbildung geführt.
Die Akteure (öffentliche und freie Träger) fordern ein, dass ein Studium die sofortigen notwendigen Kompetenzen für ein spezifisches Arbeitsfeld gewährleistend vermitteln soll.
Das durch den sog. "Bologna-Prozess" erzwungene Bachelorstudium Soziale Arbeit an der Hochschule Bremen beinhaltet ein längeres Modul "Praxis im Projektzusammenhang" zwischen dem 4.-6. Semester und das Studium schließt mit einem verbindlichen Anerkennungsjahr an. Das letztere, welches an vielen orten abgeschafft wurde, wird in Hamburg vehement wieder eingefordert, bzw. in verbesserter Form als verbindliches Traineejahr wie bei den Medizinern und Juristen vorgeschlagen. Die eigentliche personalbindende Absicht wird darin deutlich, dass der bremische Duale Studiengang mit der Abschaffung des Anerkennungsjahres einhergeht.
Außerdem bedeutet Studium neben Wissensvermittlung auch Persönlichkeitsbildung; die Fähigkeit zu entwickeln, sich in ein Arbeitsfeld einarbeiten und kritisch dessen Rahmenbedingungen mitgestalten zu können. Die Notwendigkeit einer Einarbeitung nach dem Studium wird in anderen Arbeitsfeldern als selbstverständlich akzeptiert und entsprechende Einarbeitungsformen werden ebenso offeriert wie fachspezifische Fort- und Weiterbildungen. Ein Studium kann nie lückenlos arbeitsfeldspezifische Kompetenzbedarfe vermitteln, zumal deren Verfallsdatum immer schnelllebiger wird.
Letztlich ist all dies (nach der Bachelorisierung) eine weitere Stufe der Verdichtung, die Zeit und Raum für kritische Reflexion der Studien- und Praxisinhalte zurückdrängt.
"Die zu erbringende Praxis ist so geplant, dass sie, unter Berücksichtigung von Urlaubsansprüchen,
immer in der vorlesungsfreien Zeit bzw. während des 5.Semesters erbracht werden
kann, wobei dies zum größten Teil in einer Halbtagsstruktur geschehen kann, so dass es
auch in der vorlesungsfreien Zeit Möglichkeiten für die Erstellung von Prüfungsleistungen
und fachliches Selbststudium gibt."
Es zeichnet sich bereits ab, dass die gewünschte deutliche Schwerpunktsetzung für den nachfolgenden Einsatz "zum Beispiel in der Justizvollzugsanstalt, im Gesundheitsamt, bei Werkstatt
Bremen, im Jugendamt des Amtes für Soziale Dienste oder in den Sozialzentren der Freien Hansestadt Bremen ..." sich in weiteren (andere Studierende ausschließende) "Module mit
spezifischen Themen" niederschlagen wird. Dies bedeutet eine Binnendifferenzierung, wenn nicht alle daran teilnehmen sollen und können.
Die geöffnete Büchse der Pandora wird zwangsläufig in das bisherige generalistische Studium hineinwirken. Unter welchen Prämissen werden die dual Studierenden ihr Thema der Bachelorthesis bestimmen können und die Ergebnisse ihrer wissenschaftlichen Arbeiten offensiv vertreten können, wenn sie vorher zur beamtenrechtlichen Loyalität gezwungen werden und ncah dem Studium eine 5-jährige Arbeitsverpflichtung bei ihrem vorbestimmten Arbeitgeber abarbeiten müssen ?
Es stellt sich auch die Frage, welche wissenschaftliche Disziplin längerfristig studiengangsorientierend sich durchsetzt, wäre es doch naheliegend für die Zwecke des Dienstherren, Rechts- und Verwaltungswissenschaft stärker zu betonen und die Fähigkeit zur Kritik an den bestehenden gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Staatstätigkeit, bzw. die Analyse der Ursachen für die verschlechterten Lebensbedingungen der betroffenen Adressaten sozialer Arbeit geringer zu schätzen.
Sozialarbeiter/innen ergreifen mehrheitlich den Beruf, um Menschen in benachteiligten Lebenssituationen und Problemlagen zu unterstützen, zu beraten, zu begleiten - Einzelne, Familien, Gruppen - und sie haben den Anspruch, das soziale Umfeld der Adressat/innen mitzugestalten. Was wird aus diesem Gestaltungswunsch ?
Kein Studium kann für spezielle Arbeitsbereiche alle Wissensbereiche vermitteln, insofern ist es notwendig in der nachfolgenden Praxis Fort- und Weiterbildung anzubieten. Im dualen Studienbetrieb schält sich schon jetzt ein Zweiklassensystem (Ausbildungsvergütung, Anstellungszusage) unter den Studierenden heraus. Droht möglicherweise zudem durch die Hintertür die Wiedereinführung der Präsenzpflicht. Alle Studierenden müssen wieder mit Präsenzpflicht rechnen?!
Die Ausrichtung des BA-Studiums wurde in Studiengängen Soziale Arbeit (auch hier in Bremen) als generalistisches Studium verankert, weshalb es sowohl bei Studierenden wie auch bei
Lehrenden in Bremen in 2015/2016 größeren Widerstand gegen die Einführung des Dualen B.A. an der Hochschule gab. Die SPD/Grüne Landesregierung drückte das Vorhaben in Verhandlungen hinter
verschlossenen Türen durch. In Hamburg (s.u.) konnte der Widerstand bisher die Einführung verhindern und einen mehrjährigen, ergebnisoffenen Partizipationsprozess in Gang setzen. Das
Department an der HAW hat den von SPD und Grünen vorgeschlagenen Dienstherreneigenen abgelehnt. Dies offenen Dialog und Prozess hätten wir uns in Bremen auch gewünscht.
Wir beobachten nun in Bremen eine Zergliederung. In dieser Logik könnte jedes größere Arbeitsfeld, und darin die größten Träger (nicht die Kleinen) die Forderung nach einem eigenen Studiengang erheben – Soziale Arbeit für Suchtkranke, Soziale Arbeit für ältere Menschen usw.. eine Tendez, die in privaten Dualen Studiengängen Soziale Arbeit längst zu beoabchten ist.
In einem Weserkurierartikel vom 17.07.2017 (Seite 4 des Stadtteilkuriers Bremen Nordost) brüstete sich der Geschäftsführer Möller (Ökonom) des Bremer Berufsbildungswerkes des Sozialverbandes, der im übrigen im Mai 2018 vom Betriebsrat für seine Gutsherrenart kritisiert wird (TAZ 11.05.2018):
"Allein für den Internats- und Freizeitbereich stehen mehr als 50 Sozialpädagogen als Reha-Manager zur Verfügung. Das ist einer der Gründe, weshalb es sich für das Berufsbildungswerk [s.u.] durchaus lohnt, in Zukunft einen dualen Studiengang für Sozialpädagogen anzubieten. Das berichtet Rüdiger Zoch, der in der Verwaltung den Bereich Öffentlichkeitsarbeit, Kommunikation und Personal leitet. Der Verwaltungsfachmann ist erst seit zwei Jahren dabei, wollte aber schon immer gerne im sozialpädagogischen Bereich arbeiten."
Der Weserkurier berichtete über die ca. 500 Demoteilnehmer*innen mit vielen kreativen und witzigen Ideen: link Der Asta der Hochschule berichte auf seiner WEB-Seite von den ca. 700 Teilnehmern*innen mit tollen Fotos (s.o. copyright ASTA). link
Ein youtube-video von der Rede auf der Kundgebung vor der Bürgerschaft, in dem die Ausrichtung der Hochschule nur an den Wirtschaftsinteressen( "den Märkten") kritisiert wird. "Wo bleibt da Autonomie der Hochschulen und die Freiheit der Wissenschaften ? "
Im Hamburg starteten Studierende der Ev. Hochschule für Soziale Arbeit und Diakonie Hamburg im Juni 2017 die hier einsehbare online Petition gegen eine dualen Studiengang an ihrer Hochschule, wie es der Hamburger Senat plant. Die Petition erreichte 462 Unterstützer*innen, darunter auch 5 Lehrende. Zwischenerfolg am 17.7.2017: "Der Hochschule wird bis auf Weiteres kein Auftrag durch den [Hochschul]Senat erteilt, Kooperationsgespräche mit der Stadt Hamburg bzgl. eines dualen Studiengangs "Soziale Arbeit im öffentlichen Dienst" zu führen."
Auch der DBSH (Berufsverband Soziale Arbeit) kritisiert den Hamburger dienstherreneigenen Studiengang, wie in diesem Posting nachzulesen.
In seiner Stellungnahme (hier nachzulesen) zur Ausschreibung eines „Dienstherrenstudienganges“
der Landeshauptstadt München kritisiert der AKS München den "Angriff auf ein Grundrecht:
Verwaltungsinterner Studiengang Soziale Arbeit bedroht die freie Lehre!"
Referat von Wolfgang Lieb mit dem Titel: "Funktionale Privatisierung staatlicher Aufgaben - am Beispiel öffentlicher Hochschulen" auf der gemeinsam von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, dem BdWi dem Bildungs- und Förderungswerk der GEW im DGB e.V., dem DGB Brandenburg und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) veranstalteten Tagung „Öffentlich vor privat – Die Zukunft der gesellschaftlichen Daseinsvorsorge“ am 19.09.2015 in Berlin.
Der Begriff „Bildung“ ist eine riesige Nebelkerze, die davon ablenkt, dass Bildung heute längst und in erster Linie ein gigantisches Geschäft ist und die Verdummung, Indoktrination und Apathie der Menschen sind das Geschäftsmodell. Als Gegenrezept empfiehlt Ralf Wurzbacher in diesem RUBIKON-Beitrag Bewusstseinsbildung!
Link zu einem Artikel von Fabian Kessel: Ökonomisierung von Bildung und Erziehung: Von der Dynamisierung eines anhaltenden Prozesses
Auszüge: "Denn TIPP – und das ist eine erste entscheidende Einsicht – stellt nur einen
weiteren Schritt in einer langen Geschichte der internationalen Freihandelspolitik dar. Dieser
Geschichte sind bestimmte Strukturmuster inhärent, die sich aller Wahrscheinlichkeit nach auch
in TIPP wieder und weiter zeigen werden, wenn nicht prinzipiell ein Ende der Freihandelspolitik
beschlossen wird. ...Doch TTIP oder ggf. auch TiSA würden die Deregulierung und marktförmige Liberalisierung des Bildungs- und Erziehungssystems, die seit dem Ende des 20.
Jahrhunderts in der Mehrheit der OECD-Länder, aber auch darüber hinaus, international Einzug gehalten hat, weiter zuspitzen. TTIP wie TiSA ist insofern nichts Neues, weil in der EU ebenso wie in
einzelnen nationalstaatlichen Kontexten in den vergangenen 15-20 Jahren eine merkliche marktförmige Neujustierung des Bildungssystems zu beobachten ist. Ökonomisierung von Bildung und Erziehung
meint also zwei parallele Entwicklungen – und das keineswegs erst mit TTIP:
(1.) eine Humankapitalisierung der Bildung: Statt dem Ziel der Allgemeinbildung und zugleich der subjektiven Selbstbildung, wie sie mit der europäischen Aufklärung denkbar und einflussreich
wurde, findet sich nun die Orientierung an einer kontinuierlichen und spezifischen Rechenschaftspflicht (accountability) von Inhalt und Form der Bildung. So überzeugend die Forderung nach einer
Legitimation des pädagogischen Geschäfts an sich ist, so wenig überzeugend ist deren Setzung in Gestalt einer marktförmigen Legitimation.
Doch genau eine solche Denkform ist inzwischen vorherrschend: Alle Beteiligten (Schüler wie
Lehrer_innen; Studierende wie Dozierende) sind aufgerufen, ihr Bildungsengagement in Bezug
auf dessen möglichst direkte Verwertbarkeit auf dem Arbeitsmarkt zu legitimieren;
und (2.) eine Managerialisierung – aber auch Kommerzialisierung (z.B. eine Politik der Etablierung von
Bildungsorganisationen als ‚Marke‘ mit ‚Alleinstellungsmerkmalen‘) und spezifische Form der
Privatisierung der vorhandenen Einrichtungen und Organisationen im Bildungs-, aber parallel
und damit verschränkt auch im Sozialbereich: Schulen, Hochschulen wie Kindergärten oder
Wohngruppen für Jugendliche werden dann wie Unternehmen geführt und als solche in
Konkurrenz zueinander gebracht (z.B. durch den Ausbau von privaten Bildungsanbietern oder
die Aufweichung des Werbeverbots in Schulen)."