Was nützt Bremer Familien die "Weiterentwicklung des Jugendamtes" ?

Seit 2011 betreibt die SPD und die Grünen (von 2011 bis 2023 für das Sozialressort verantwortlich) in Bremen die sogenannte „Weiterentwicklung des Jugendamtes“. Ginge die Entwicklung in eine unterstützenswerte Richtung, wäre das ja OK, aber daran gibt es Zweifel: Der Bremer Finanzfachmann und (ab 2015) Staatssekretär  im grünen Sozialressort Jan Fries gab im Jugendhilfeausschuss am 4.8.2016 unumwunden zu, dass "zentrale Zielsetzungen der Reform [gemeint war die kläglich gescheiterte SGB VIII Novellierung]... bereits Bestandteile des Projekts „Weiterentwicklung des Jugendamts“ ["JuWe" in Bremen seien]. - "Zentrale Zielsetzungen" der im Bundestag im Juni 2017 aus Mangel an fachlicher Fundiertheit kläglich gescheiterten Novellierung sind in Bremen seit Jahren bereits "Bestandteil" .... ? Was ist das für ein Verständnis von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie, noch gar nicht beschlossene Gesetze (zumal dieses umstrittene) in vorhinein einfach mal vorwegzunehmen ?

 

Die real praktizierten fall- und kostenrelevanten Zuschreibungen im Bremer Jugendamt stehen unter austeritätspolitischem Druck und geraten immer häufiger in  Widerspruch zur aktuellen Gesetzeslage im Sozialgesetzbuch SGB VIII. Die Exekutive in den Kommunen und Ländern rennt wegen fehlender zugewiesener Mittel der Bundes-Legislative voran. In einem demokratischen Rechtsstaat ist das sehr bedenklich.

 

Exkurs: Die maßgeblich vom Hamburger Sozial-Staatsrat Jan Pörksen (ehemals ein Bremer SPD-Finanzfachmann) vorangetriebenen organisationalen und finanziellen Umsteuerungen wurden nach der mutigen Klage eines Hamburger Trägers vor dem Verwaltungsgericht ausverhandelt. Die Taz berichtete am 13.03.2016. Die Stadt Hamburg wurde u.a. verurteilt, folgendes zu unterlassen: "Die Delegierung individueller Hilfen zur Erziehung [mit Rechtsanspruch nach §27 ff SGB VIII] an regionale Trägerkonsortien in pauschalierter und budgetierter Form."  Pörksen hatte rechtswidrig versucht, den durchaus richtigen Impuls, fallunspezifische, sozialräumliche Arbeit zu stärken, gegen das von Eltern und Kindern einklagbare Recht auf ambulante Einzelfallhilfen auszuspielen.

 

Nun feiert die Bremer Jugendamtsleitung im Bericht an die Sozialdeputation vom 16.05.2017 (in dem der Sozialdeputation vorgestellten Bericht vom 17.04.2018 erneut) die  "Erfolge" des "JuWe"-Prozesses, die sich in weniger kostenrelevanten Fällen zeigten, wobei meist die ambulanten Sozialpädagogischen Familienhilfen gemeint sind.

Ob es den Kindern, Jugendlichen und Eltern nach der organisationalen Umsteuerung nun besser geht, scheint für die Definition von "Qualität" unerheblich und bleibt darin und in dem Controllingbericht irrelevant. - Der Anteil von Schülern*innen mit einem festgestellten sonderpädagogischen Förderbedarf im Bereich sozial-emotionaler Entwicklung stieg im Land Bremen z.B. in den Jahren 2012-2017 um jeweils 10 % pro Jahr, also um mehr als 50% .(Quelle: Bremer Senat 2017)

 

Die bremenweite, umfassende Bedarfsermittlung (Jugendhilfeplanung Pflicht laut § 80 SGB VIII) und Berichterstattung (Pflicht jede Legislaturperiode) wird seit Jahrzehnten in Bremen ignoriert, bzw. 2001 auf "Familienbildung" und im längst überfälligen "Jugendbericht" auf offene Jugendarbeit verengt, beides wichtige aber nichtsdestotrotz relativ kleine Bereiche des gesamten Spektrums der Kinder- und Jugendhilfe, zu der übrigens auch die Kindertagesbetreuung gehört. Das ist umso dringlicher, als Bremen im bundesweiten Ländervergleich nicht nur bei der Armutsentwicklung (besonders bei Alleinerziehenden und Kindern) negativ herausragt, sondern auch bei der Anzahl der Verfahren  zur Einschätzung der Gefährdung des Kindeswohls.

 

 

Nach den "Prof. Wolff-Fortbildungen des Kronberger Kreis für Qualitätsentwicklung" zum Kinderschutz "nach Kevin" (2007-2010) entschied sich das Sozialressort für die "Lüttringhaus-Fortbildungen" im Bremer Jugendamt. Für Austeritätspolitiker ist das "Lüttringhaus-Institut" (gegründet von der aus Essen stammenden Grünen-Politikerin Maria Lüttringhaus) attraktiv, bewirbt sie ihre Firmenangebote doch mit den Worten: "Qualitätssicherung in der Jugendhilfe – trotz knapper Kassen: Grundlagen des Fortbildungskonzepts sozialraumorientierter Jugendhilfe" (Evangelische Jugendhilfe, 84. Jg , Heft 2, April 2007).

 

Fälle werden nach dem "Lüttringhaus-Konzept" in verschiedene "Schubladen" vorsortiert mit der Gefahr einer Spaltung zwischen Präventions- und Interventionshandeln auf der Basis fragwürdiger Normierungen, die einer austeritätspolitischen Vorgabe folgen: 

 

"Nach Lüttringhaus gibt es einen "Leistungsbereich" (kein Kinderschutz und damit freiwillige Zusammenarbeit der Familie mit dem Jugendamt), einen "Graubereich" und einen "Gefährdungsbereich" (beides Kinderschutz und damit keine Freiwilligkeit). Unterschieden wird im Jugendamt auch zwischen "Beratungsfall" und "Kostenfall". Neu ist, dass nun im Casemanagement intensiver mit den Familien gearbeitet wird (werden soll) und dadurch Fälle zum Teil länger Beratungsfälle bleiben." (So zusammenfassend ein Kenner der Fortbildungen in einer Zuschrift an unser Bündnis)

 

In dem von Maria Lüttringhaus in den Blättern der Wohlfahrtspflege (Aug. 2007) veröffentlichten Beitrag "Kindesschutz in der Jugendhilfe. Wie man Auflagen und Aufträge richtig formuliert" wird an der Grenze zur Rechtsbeugung mal eben behauptet: "Beim Verdacht der Gefährdung des Kindeswohls muss das Jugendamt tätig werden. Bestätigt sich der Verdacht können den Personensorgeberechtigen Aufträge oder Auflagen erteilt werden." (Hvh. d.V.) Nicht etwa eine klare Zuständigkeitsklärung (Familiengericht ?) wird in ihrem Text problematisiert, sondern: "Auflagen und Aufträge werden häufig unklar formuliert und mit Maßnahmen vermengt. Wir geben Anregungen, welche Standards bei der Formulierung von Aufträgen und Auflagen berücksichtigt werden können." Das hat bei einigen Kollegen*innen in den Jugendämtern, die vom "Lüttringhaus-Institut" fortgebildet werden, bereits zu seltsamsten Übergriffen geführt, die eher an den preußischen Obrigkeitstaat erinnern, als an eine moderne, demokratische Jugendhilfe.

 

In den Blättern der Wohlfahrtspflege (Dez. 2006) schreibt Frau Lüttringhaus über vom Jugendamt zu verfügende "Anweisungen" (auch gegen den Willen der Addressaten): "Das geschieht in der Jugendhilfe im Gefährdungsbereich oder z.B. in der Jugendgerichtshilfe bzw. in der Sozialhilfe im Sanktionsbereich. Hier muss jemand konkrete Auflagen erfüllen, da aufgrund der gesetzlichen oder institutionellen Grundlagen ein Hierarchieverhältnis besteht. Werden diese nicht erfüllt, dann hat das Konsequenzen!" (Hvh. d.V.) Auch hier werden die Befugnisse einer unabhängigen Justiz (Familiengericht), mal eben in die Exekutive (das Jugendamt) runterverlagert und damit ist der Fortschritt des 1990 erkämpften Kinder- und Jugendhilfegesetzes, dass die Addressaten zu gleichberechtigten Kooperationspartnern*innen gemacht hat, zunichte gemacht. Der Hinweis von Lüttringhaus auf den Sanktionsbereich in der Sozialhilfe (zudem in 2005 überführt in Hartz IV) entlarvt sie als Verfechterin der ganzen darin enthaltenen Aktivierungsideologie.

 

Die "austeritätspolitische Denke" des "Controlling Jugendamt Weiterentwickeln" lässt sich gut im letzten Controllingbericht vom 11.05.2017 nachlesen. Darin wird auf S.7 der "Anteil Folgehilfen bei Beratungen" aufgeführt: Das waren 43,1% (in 2014), 41,7% (in 2015) und 43,7% (in 2016). In Klardeutsch: Zwischen 43,1 bis 43,7% der im Jugendamt 2014-16 aufgelaufenen/nachgefragten neuen "Beratungsfälle" (Familien/Kinder, die Hilfe brauchen nach Selbst- oder Fremdmeldung) wurden nach der Diagnose/Beratung durch eine(n) Casemanager(in) CM zu einem "Kostenfall". Angestrebtes Ziel ist es diese Kostenfälle zu senken. Und wie kann es die Fachkraft schaffen, diesen Kostenfall zu verhindern ? Denn je besser er/sie das schafft, desto erfolgreicher wird ihre Arbeit von den Controllern*innen definiert ?

 

Die ohnehin überlasteten "Casemanagern*innen CM (so werden Sozialarbeiter*innen tatsächlich im Bremer Jugendamt genannt) werden in den Lüttringhaus-Fortbildungen dahingehend geschult, den "erklärten Willen der Klienten" genauer zu prüfen und nur dann "Kostenfälle" zu bewilligen, wenn der "Wille" klar (vom CM) diagnostiziert wurde. "Diagnostiziert" aber der/die CM in der (ganzen?) Familie einen "beliebig geäußerten Wunsch", der sich auch noch ohne eigene Aktivierung einstellen soll, dann heißt es: "Wo kein Wille ist, ist auch kein Weg." Die Hilfeanfrage der Familien /Kinder wird freundlich zurückgewiesen, im höflichsten Fall mit vielen guten Wünschen für die weitere Zukunft.

Familien haben aber - wie alle Menschen - ein Recht auf Widersprüchlichkeit, vorübergehenden Widerstand, vorübergehendes Scheitern und besonders auch auch Umwege. Sie darin und dabei zu begleiten, wäre Aufgabe einer feinfühligen, respektvollen Kinder- und Jugendhilfe. Die Familien im "Sozialraum" alleine zu lassen und zu warten, bis das Kind/die Familie so auffällig wird, dass sich daraus in der Zwischenzeit (mangels Unterstützung) ein "unfreiwilliger" "Grau-" oder "Gefährdungsfall" entwickelt hat und dann mit dem "Zwangskontext" (Familie muss bei Androhung einer außerfamilialen Fremdunterbringung "kooperieren") gearbeitet werden muss, ist unredlich.

 

In der Erläuterung der Controller*innen wird die "kostenrelevante" Erfolgskategorie klar definiert:

 

"Die abgebildete Zahl „Anteil Folgehilfen bei Beratungen“ gibt den Anteil der kostenrelevanten Folgehilfen gemessen an allen Neufällen „Beratungen“ im entsprechenden Jahr an. Je geringer dieser prozentuale Anteil ist, desto erfolgreicher verlaufen die Beratungen des Casemanagements. Im Basisjahr 2014 haben 43,1% der Beratungen zu Folgehilfen geführt."

 

Wir haben also hier eine peinlich genau nachverfolgte Kennzahl jedes(r) Kollegen*in im Jugendamt, an der austeritätspolitische "Erfolge" seiner/ihrer Sozialarbeit gemessen wird. Wie es der Familie geht, taucht als Erfolgskriterium hier nicht auf, das wären nämlich Fragen wie: Geht es dem Kind und seiner Familie dauerhaft besser ? Konnte das Familiensystem (nach den meist ein, max. vier Beratungen und das meist noch im Büro im Jugendamt) belastbare Veränderungen auch vor dem Hintergrund schwieriger sozioökonomischer Rahmenbedingungen und unzulänglicher sozialräumlicher Angebote herbeiführen ?

Würde die Situation der Familien in Bremen verbessert

A. durch eine Verbesserung auch der ökonomischen Lebensbedingungen von Familien und der Versorgung ihrer Kinder,

B. durch einen Ausbau sozialstruktureller, fallunspezifischer Angebote (Beratungstellen, Häuser der Familie, Freizeitheime) und der sog.- "Regelangebote": KiTas, Schulen usw. und

C.  durch eine intensive, feinfühlinge und finanziell unterfütterte Arbeit mit der Familie (vom Jugendamt selbst in Kooperation mit frei-gemeinnützigen Trägern),

wäre das durchaus eine erstrebenswerte Entwicklung.

 

Aber außer einer dem deutlich steigenden Bedarf immer hinterherhinkenden Erhöhung der Angebote der Kindertagesbetreuung (vom Bund mitfinanziert und ab 2015 in Bremen im Bildungsressort verwaltet) ist davon nichts empirisch nachweisbar, weil regelmäßig die Schuldenbremse als Argument dagegen vorgeführt wird.

 

All das steht in erheblichem Kontrast zu einigen Kernforderungen des § 1 des SGB VIII: Darin heißt es (Auszüge):

 

"Jeder junge Mensch hat ein Recht auf Förderung seiner Entwicklung und auf Erziehung zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit. ... Jugendhilfe soll zur Verwirklichung des Rechts ...insbesondere ... junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen, Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen [und] ... dazu beitragen, positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen."

 

 Die Weiterentwicklung im Jugendamt wurde mit dem Modellprojekt ESPQ 2010-2014 (s.u.) erprobt. Parallel liefen die Fortbildungen.  Theoretisch durchaus unterstützenswerte Rückbesinnungen auf ein personell/fachlich gut aufgestelltes Jugendamt mit mehr Erziehungsberatung (!), mehr Stadtteilarbeit, Stärkung der Häuser der Familie, mehr Vorklärung, mehr Fortbildung, mehr Supervision, Entlastung von Verwaltungsaufgaben, sind angesichts knapper Kassen, unzureichender (teilweise auch abgebauter) Angebote im sog. "Sozialraum", konzeptioneller Mängel und des Personalmangels als Folge zu niedriger Löhne und hoher Fallzahlen mehr als gefährdet; manche Angebote wuŕden so kaputtgespart, dass sie niciht mehr existieren.

 

„57,5 Prozent der Jugendamts-Mitarbeiter sind nach fünf Jahren nicht mehr da." (WK 14.12.2016, Baustelle Jugendamt)  Verdopplung der "Austritte aus der Organisationseinheit" im Bremer Jugendamt 2015 bis 2016 gegen den Bundestrend:

Etliche Bremer Sozialzentren mussten die personalbedingte Reduzierung ihres Angebots auf sog. "Kinderschutzaufgaben" öffentlich deklarieren; auch genannt: "Aufgabenpriorisierung" oder "Anzeigen über Leistungseinschränkungen"

Bei Hilfeplanverlängerungen, Beratungsgesprächen oder
Quelle: IKO Vergleichsring bis 2016, vorgelegt im JHA Bremen am 7.9.2017          Trennungs- und Scheidungsberatungen u.a. werden deutlicheAbstriche gemacht. Eigentlich ein Staatsversagen.

 

Die offensichtliche Not wurde in der Bürgerschaft debattiert. Und im Jugendhilfeausschuss wird der Leiter des Jugendamtes regelmäßig (zuletzt im Sept. 2017) befragt, wann denn die "Leistungseinschränkungen" ein Ende finden könnten. Am 28.11.2017 richtete die Linksfraktion erneut eine große Anfrage an die Landesregierung: "Wann wird das Jugendamt in die Lage versetzt, gesetzliche Aufgaben vollumfänglich und zeitnah wahrnehmen zu können?" Hier die Antwort der Landesregierung vom 13.02.2018. Leistungseinschränkungen existieren auch bis Febr. 2018 fort in zwei Stadtteilteams. 2017 haben 25 Sozialarbeiter*innen Überlastanzeigen eingereicht; 23 sind aus dem Case Management ausgeschieden (von insg. 135), das sind 17% des Personalvolumens. Davon gingen nur 6 in den Ruhestand. Die angestrebte (und unzureichende) Sollzahl von 145 CM-Kolleginnen wird 2017 wieder nicht erreicht

Das Ergebnis der nun im Jugendamt forcierten sog. "verbesserten Eingangsdiagnostik" im JuWe-Prozess könnte -wie oben dargelegt - nichts Geringeres beinhalten, als dass der administrative und definitorische "Tunnel", den ambulante Familienhilfen trotz steigender Bedarfe bis zu einer Bewilligung passieren müssen, immer mehr verengt wird. Wenn also das Controlling im Jugendamt sinkende Fallzahlen feiert, könnte das auch eine Folge der zunehmenden Ignoranz gegen über dem §1 des Kinder- und Jugendhilfegesetzes (SGB VIII) sein: Darin wird aus gutem Grund grundsätzlich gefordert, das Kinder- und Jugendhilfe "junge Menschen in ihrer individuellen und sozialen Entwicklung fördern und dazu beitragen [soll], Benachteiligungen zu vermeiden oder abzubauen", und - ebenfalls ignoriert - "dazu beitragen [soll], positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen."

 

Die zu beobachtende (vom Bremer Sozialressort betriebene) Reduzierung der Jugendhilfe auf A. erklärte Willensfälle (die nur so "Kostenfälle" werden können), B. Kindeswohlgefährdungsfälle ("Grau- und Gefährdungsbereich") und C. junge Menschen nur bis zum 18. Lebensjahr (im SGB VIII bis zum 27. Lebensjahr), widerspricht dem gesetzlichen Auftrag.

 

Deshalb: Was dem finanziellen "Konsolidierungspfad" der Bremer Landesregierung (also knallharte Austeritätspolitik) nützt, muss noch lange nicht den Bremer Familien und  ihren Kindern nützen, und tendiert dazu, bundesgesetzliche Anforderungen zu unterlaufen und zu missachten. Solche strukturellen Bewilligungshürden widersprechen dem Geist des Kinder- und Jugendhilfegesetzes von 1990 und missachten zudem den partizipativen, tripolaren Handlungsrahmen (Subsidiaritätsprinzip), das die Adressaten als Subjekte und nicht als Objekte staatlicher Fürsorge betrachtet; sowie die "freien Träger" als Kooperationspartner in diesem Dreiecksverhältnis bewusst als wichtige Akteure einbezieht.

Die Adressaten (Eltern, Alleinerziehende, Säuglinge, Kinder, Jugendliche) haben innerhalb dieser "Fall im Feld" Ideologie immer weniger zu melden, trotz Rechtsanspruch im SGB VIII, wo eine Unterscheidung zwischen dem angeblich "beliebigen Wunsch" einer Familie/der Kinder  und dem neuerdings verlangten ausdrücklichen und erklärten "Willen" (siehe Thomas Olk, Tina Wiesner 2015) aus guten Gründen nicht zu finden ist.

Die wissenschaftlichen Begleiter*innen des ESPQ Modellprojektes (Prof. Olk und Frau Wiesner) bleiben auch die Beantwortung der Frage schuldig, wie z.B. ein kleines Kind den erklärten Willen artikulieren soll. Zu welchen "Entwicklungen" die Nichtbeachtung des kindlichen Willens in der Jugendhilfe führen kann, beobachten wir 2017 gerade in Hamburg. (Siehe LINK)

 


Immer weniger Hilfen zur Erziehung werden geplant beendet, immer mehr ungeplant beendet - nicht gerade ein Ausdruck wachsender Prozessqualität der pädagogischen Arbeit (in Bremen besonders):


Zunehmende Eingriffs- und Kontrollorientierung in der Jugendhilfe

Emer. Prof. Timm Kunstreich (Rauhes Haus Hamburg) bemängelt zudem die Folgen der zunehmenden Eingriffs- und Kontrollorientierung in der Kinder- und Jugendhilfe: "...Es gibt eine Überregelung. Selbst wenn sich Sozialarbeiter daran halten wollen, ist das nicht einfach, weil es sehr viel und kompliziert ist. Ein anderes Problem ist, dass neben der ganzen Reglementierung oft gar nicht berücksichtigt wird, was Kinder und Familien wirklich wollen. [...] durch die Kontrollorientierung werden Familien häufig in die Isolation geführt. Statt der starken Kontrollen sollte es lieber mehr Gespräche geben. Heute melden sich nur noch wenige Familien mit Problemen selbst bei den Jugendämtern und anderen Einrichtungen, weil sie Angst haben, dass ihnen die Kinder weggenommen werden."

Die Zahl der Sorgerechtsentzüge in Bremen lag 2013-4 ca. 2-3x höher als der Bundesdurchschnitt (nur Zahlen für 2013 u.2014 verfügbar).

 

In Hamburg hat sich die Zahl der Eltern, die ihr Sorgerecht verlieren, seit 2011 verdreifacht. Besonders in einkommensarmen Vierteln ? Die TAZ Hamburg vom 15.09.2017 berichtete nach einer Anfrage der LINKEN.

 

Die Hamburger Enquetekommission „Kinderschutz und Kinderrechte weiter stärken“ wird sich weiter mit dem Jugendhilfekurs in Hamburg beschäftigen müssen, denn es gibt den Verdacht, dass die Verdreifachung der Sorgerechtsentzüge und die deutliche Ausweitung der Heimerziehung (in der Anzahl und in der Dauer) aus einem "Angsthandeln" der immer mehr unter Druck (politisch und bürokratisch) geratenen Beschäftigten in den Jugendämtern resultiert.

Die Hamburger Linksfraktion hat in einer Anfrage genauer nachgehakt und plant weitere Anfragen zu der steigenden Repressivität in der Jugendhilfe und möglicher Armutsfaktoren in bestimmten Vierteln, wo den Kindern und Familien nicht geholfen wird, wie es unsere Verfassung (Artikel 6, Absatz 2), das SGB VIII und die UN-Kinderechtskonvention vorsieht.

 

Vor der Gefahr eines immer mehr auf "Fremdmeldungen" "reagierenden" Jugendamtes, welches freiwillige Hilfenachfrage strukturell zurückdrängt, warnte emer. Prof. Dr. Reinhart Wolff (s.o.) in seinen im Bremer Jugendamt "nach Kevin" unter bewusster Einbeziehung der Kollegen*innen der freien Träger durchgeführten Fortbildungen "Kinderschutz in der Demokratie – Herausforderungen, Chancen, neue Wege". In einer von ihm präsentierten Folie heißt es:

 

"[Solch ein fehlentwickeltes Jugendamt] ... mobilisiert Fremdmeldungen, anstatt die freiwillige Hilfenachfrage zu ermutigen, zu stützen und attraktiv zu machen. [Das Jugendamt]... wird auf diese Weise selbst zu einer unfreiwilligen, reaktiven Organisation, die sich mit Fremdsichten konfrontiert sieht, die die eigenen Bobachtungs- und Entscheidungsmöglichkeiten schnell überlagern, nicht zuletzt, weil sie häufig verbunden werden mit einer bedrängenden Aufgabendelegation von anderen Einrichtungen (des Bildungs- und Gesundheitswesens oder auch der Justiz), denen man statusmäßig unterlegen zu sein glaubt."  (Präsentation s.o. von Prof. Wolff im Rahmen der Bremer Fortbildungen)

 

Prominente Kritikerinnen wie Marie Luise Conen aus Berlin (Systemische Familientherapie Ausbildungen) halten auch die längerfristige Zunahme der stationären Unterbringungen (also Herausnahme aus der Familie) von Kindern als Folge verfehlter Zuschreibungen zukünftig für möglich, wenn weiter (qualitativ hochwertige) ambulante Familienhilfen und präventive niedrigschwellige Angebote abgebaut und zunehmend verwiesen wird auf angeblich Wunder wirkende "Gruppenarbeit", ominöse "sozialräumliche Ressourcen" und "Regeleinrichtungen" wie KiTas und Ganztagsschulen (alles in Bremen chronisch unterfinanziert).


Fast 50% aller fremduntergebrachten Kinder stammen aus Einelternhaushalten in Deutschland - andere Rahmenbedingungen für diese könnten das oftmals verhindern.

Auffällig ist zudem, dass Bremen (z.B. gegenüber Berlin und Schleswig-Holstein) deutlich weniger Erziehungsberatung (§28 SGB VIII) als wichtige, die Eltern unterstützendes Angebot vorhält.


Angebliche Ausweitung sozialräumlicher Arbeit (sog. "fallunspezifische Arbeit") durch Angebotsreduzierungen?

In den "Eckwerten" des Sozialressorts für die Jahre 2018/19 sind (wieder mal) nur einprozentige Steigerungen für die sog. "Jugendarbeit/-förderung" vorgesehen, obwohl der Beschluss des Jugendhilfeausschusses (2014 Rahmenkonzept OJA) eindeutig ist: 3,5 % jährlich mehr zum Ausgleich der Tarifsteigerungen und der Energie- und Instandhaltungskosten. Unbeirrt setzt die Landesregierung den Kurs der Angebotsreduzierungen (inflationsbereinigt) weiter fort, während die Marketingabteilung gleichzeitig in groß inszenierten "Jugend im Parlament" und "Nacht der Jugend" Veranstaltungen die Jugendfreundlichkeit propagandistisch in der Öffentlichkeit zu platzieren versucht.


"Die risikogefährdete Kinderschutzorganisation mobilisiert Fremdmeldungen, anstatt die freiwillige Hilfenachfrage zu ermutigen, zu stützen und attraktiv zu machen."(Prof. Wolff, 2009)

 

Innerhalb von zehn Jahren haben sich in Deutschland die Inobhutnahmen von Kindern und Jugendlichen durch Jugendämter von 25.664 (2005) auf 48.095 (2014) nahezu verdoppelt.

 

"Eine expertokratische Eingriffs- und Überwachungstendenz bei gleichzeitigem Abbau der Unterstützungssysteme" (Prof. Wolff, 2009)

Die Entwicklung des ab 2007 (nach "Kevin") bis 2009 mit heißer Nadel eingerichteten Bremer Kinder- und Jugendnotdienst KJND  mit "rund um die Uhr" Ruf- und Einsatzbereitschaft (Tel. 6991133) wird in seiner seit 2009 geschaffenen Struktur im Jugendhilfeausschuss kommentarlos "zur Kenntnis" genommen.

  • Dass die sog. "Kindermeldungen" (verschriftlichte Meldung einer möglichen Kindeswohlgefährdung) insgesamt (besonders 16-18 und 0-3-jährige Kinder betreffend) in den letzten sechs Jahren deutlich zugenommen haben und trotz Rückgang der umA-Zahlen auf einem hohem Niveau verharren, interessiert nicht ?
  • Dass die ganze KJND-Konstruktion die Gesundheit der Beschäftigten immer stärker belastet (massiver Anstieg von die ganze Nacht andauernden Ketteneinsätzen), deren Motivation absinkt und sie "das Weite suchen", interessiert nicht ?
  • Dass der Sozial-Datenschutz während der TAXI-Fahrten (von Dienstwagen und Büros kann das Sparsystem nur träumen) arg leidet, interessiert nicht ?

"Die risikogefährdete Kinderschutzorganisation ist aufgrund der in Mode gekommenen Kürzungen der Jugendhilfeetats, die das Leistungsangebot gefährden, in ihren Handlungsmöglichkeiten trotz gewachsenem Hilfebedarf eingeschränkt, was immer wieder zu Dauerbelastungen und Stress (mit der Folge eines Ausbrennens) führt, die von vielen Fachkräften - gerade der öffentlichen Jugendhilfe - kaum noch verkraftet werden können." (Prof. Wolff, 2009)

 

Vor 2008 war es so, dass zwischen 16:30 Uhr (im Jugendamt ist "Feierabend") und 8:00 morgens (bzw. am Wochenende) die Polizei mit ihren Dienstfahrzeugen im Rahmen der ohnehin vorgehaltenen Nachtdienste gerufen wurde, wenn ein nächtlicher Noteinsatz (manchmal auch Kinder betreffend) zwingend notwendig wurde, zumal und besonders wenn das Risiko einer Eskalation nicht ausgeschlossen werden konnte. Über Jahrzehnte haben Bremer Polizisten*innen diesen Job gemacht und in Notfällen mit dem gelegentlich in Anspruch genommenen Kriseninterventionsdienst der Psychiatrie und (Kinder betreffend) den Inobhutnahmestellen kooperiert, die außerhalb der Jugendamts-Dienstzeiten zur vorläufigen Inobhutnahme befugt waren. Es ist also nicht so, wie manchmal in Unkenntnis lanciert, als hätte es nichts gegeben. Das verursachte aber hohe Kosten und bei zunehmend verknapptem Polizei-Personal und besonders dem Abbau vieler Polizeidienststellen und Kontaktpolizisten in den jeweiligen Ortsteilen entstand eine Unterversorgung. - Richtigerweise wurde zudem kritisiert, dass für solche Einsätze, in denen manchmal auch kurzfristig über eine vorübergehende Inobhutnahme von Kindern (bis zum nächsten Tag) zur Abwendung einer akuten Kindeswohlgefährdung (z.B. schwer alkoholisierte Eltern) entschieden werden musste, das Jugendamt besser erreichbar sein müsste und sozialpädagogisch ausgebildete Fachkräfte hinzugezogen gehören.

 

Was machten nun Innen- und Sozialressort 2007-2009 unter dem Diktat der Schuldenbremse (als Folge einer reichenfreundlichen Steuerpolitik, die die Kommunen austrocknet) ? Statt des Ausbaus der sozialräumlichen, niedrigschwelligen, präventiven und ambulanten Jugendhilfeangebote. Statt die freiwillige Hilfenachfrage zu stützen und zu ermutigen. Statt des Ausbaus der bürgernahen "vor-Ort-Polizeidienststellen". Und statt für die verbleibenden Nacht- und Wochenend-Notbedarfe A. die Schaffung eines eigenständigen gut ausgestatteten Clearing-Sonderdienstes (Ruf- und Einsatzbereitschaft incl. Dienstwagen) des Jugendamtes vorzuhalten. B. die Kooperation mit den verschiedensten Notaufnahmeeinrichtungen der bremischen Trägerlandschaft zu stärken ? (vgl. zu Inobhutnahmestellen und Übergangsplätzen die letzte wissenschaftliche Untersuchung Blandow, Jürgen ; Erzberger, Christian 2008 basierend auf Daten der "vor Kevin" Zeit 2005.)

 

Sie kreierten eine besonders billige Alternative, die die überlastete Polizei von bisherigen Aufgaben befreite und den Beschäftigten im Jugendamt und bei der´n freigemeinnützigen Trägern der Jugendhilfe (beide kooperieren nun im Hintergrund mit spontan herbeigerufenen, alternierenden Zweiertandems) die ganze Last aufbürdete bei gleichzeitiger Einsparung der notwendigen Dienstfahrzeuge (machen jetzt Taxis), bzw. der Verwaltungs- und Bürokapazitäten. Und das Gesundheitsressort schaffte 2016 sogar noch den KID (Kriseninterventionsdienst) des sozialpsychiatrischen Dienstes ab.

 

"Die risikogefährdete Kinderschutzorganisation ist in ihren Beobachtungen auf Außenbeobachtungen (z. B. die Familie oder Kinder) festgelegt und sieht sich selbst dabei nicht. Ohne Selbstbeobachtung / ohne reflexive Verwissenschaftlichung ihrer eigenen Praxis – wird sie als Organisation zu ihrem eigenen blinden Fleck." (Prof. Wolff, 2009)

 

Aber in Zeiten von Arbeitskräftemangel im sozialen Bereich können seit einigen Jahren Beschäftigte "mit den Füßen abstimmen". Was sie auch tun. Über die Schwierigkeit passendes Personal zu rekrutieren, das längerfristig bereit wäre, sich schlechtbezahlt, gesundheitsbelastend und risikobehaftet im KJND "die Nächte um die Ohren zu hauen" (die Fallzahlen und Aufgaben im normalen Tag-Dienst bleiben ja), wird aber nur hinter vorgehaltener Hand berichtet. Angeblich wären die beteiligten Fachkräfte nur "freiwillig" unterwegs, ein orwellscher Begriff für Arbeitsvertragsverpflichtungen, Neueinstellungen mit entsprechenden Klauseln und so niedrigen Einstiegsgehältern, dass viele "Freiwillige" mit den (ohnehin zu niedrigen) Nacht-Zuschlägen das (Familien)Einkommen sichern müssen.

 

"Die risikogefährdete Kinderschutzorganisation ... verfügt nicht oder nicht in ausreichendem Maße über die „insoweit erfahrenen Fachkräfte“ – wie sie nun nach § 8a SGB VIII verlangt werden." (Prof. Wolff, 2009)

 

Im Bericht des Jugendamtsleiters vom 18.04.2017 an den JHA heißt es zudem: "Kamen 2011 ca. 34 % (255) der Meldungen von der Polizei, so waren dies 2015 ca. 57 % (1248)."  Im Klartext bedeutet das oft: Die Polizei rief/ruft beim KJND an, damit zwei aus dem Schlaf geholte Sozialarbeiter*innen Aufgegriffene, eine(n) oder mehrere, mit dem Taxi in eine oftmals überforderte Noteinrichtung bringen. In 2015-2016 häuften sich die Fälle junger Geflohener umA, manchmal unter Drogeneinfluss, in einer nächtlichen Ausnahmesituation, teilweise mit hohem Eskalationsrisiko. Es gab natürlich auch vielfältige anders gelagerte Fälle, die hier nicht alle aufgezählt werden können.

 

Nicht dass all dies nicht dem Institut, welches ab 2009 mit einer Evaluation des Bremer KJND Modells beauftragt wurde, zur Kenntnis gebracht worden wäre, incl. damals schon sich abzeichnender Worst-Case-Zukunftsszenarien und großer Bedenken der beteiligten Praktiker*innen. Es spielte keine Rolle für das dann dem Jugendhilfeausschuss 2010 präsentierte (und vorher schon amtsintern beschlossene und so erwartete) Evaluations-Ergebnis: Verstetigung des kostengünstigen Modells, oder wie es im Protokoll des JHA vom 12.05.2009 hieß: "..unter den gegebenen finanziellen und strukturellen Rahmenbedingungen." In anderen Städten praktizierte und denkbare Modelle, wie ein "eigenständiger Sonderdienst innerhalb des AfSD" und/oder mit therapeutisch geschultem Personal ausgestattete Clearingstellen mit Dienstfahrzeugen wurden von der Amtsleitung lange vor Ende der Evaluation kategorisch ausgeschlossen.

 

2013 wurde dann im Jugendhilfeausschuss (JHA) in einem Bericht ein erster Rück- und Ausblick vorgelegt. Im JHA vom 18.05.2017 wurde nun ein zweiter Bericht zur Entwicklung des KJND 2011-2016 vorgelegt. Nur eine kleine Auswahl der vorhandenen Daten (s.o.) wurde veröffentlicht.

 

"Wer in Risiken überlegt manövrieren will, muss sich darum auf eine ständige Reflexion kontextueller, situationeller und kommunikativer Prozesse einlassen." (Prof. Wolff, 2009)

 

Wie die oben abgebildete veröffentlichte Datenlage über die Einsätze des KJND 2011-2016 erkennen lässt, wäre dringlich zu debattieren,

  • wie es zu den Steigerungen der Kindermeldungen insg. und besonders bei den "betroffenen Kinder von 0-3 Jahren" in sechs Jahren kommen konnte, warum die Kindesmeldungen auf dem hohen Niveau "verharren", in welchen Ortsteilen diese Einsätze vermehrt vorkamen, was diese Zunahme von Meldungen evtl. mit Kinderarmut, der Extrembelastung von Alleinerziehenden, unzureichenden Vorsorge- und Präventionsangeboten, Überlastung des normalen Tagbetriebes im Jugendamt (siehe "Anzeigen über Leistungseinschränkungen"), einer jugendamtsinternen Tendenz, Fallzahlen zu reduzieren und ambulante Hilfen runterzufahren, zu tun haben könnte.
  • wie sich die hohen Anteile an nächtlichen Inobhutnahmen nach nächtlichen Meldungen erklären lassen. Zwischen 37% bis 51% aller nächtlichen/und WE "Kindermeldungen" in den letzten 6 Jahren führten zu einer Inobhutnahme (bzw. "anderweitigen Unterbringungen"), im Jahr 2016 waren das 510 Bremer Kinder/Jugendliche. Eine ziemlich hohe (zu hohe) Zahl. Vorübergehend nachvollziehbare Hintergründe, wie die Herausforderungen mit den vielen umA, sind keine hinreichende Erklärung für die Steigerungen. Nächtliches Krisen-/Nothandeln mit all seinen Beschränkungen sollte nicht die Regel sondern die "Ultima Ratio" bleiben und tendenziell durch gute Tagesarbeit präventiv verhindert werden.
  • und viele weitere Fragen ...

Im Bericht des Jugendamtsleiters stehen immerhin (neben einigen eilig einberufenen ressortübergreifenden Konferenzen, "Umstrukturierungen" und adhoc Personalaufstockungen) drei diskussionswürdige Hinweise:

  • "Gerade in Situationen, in denen Gruppen von umA aufgegriffen wurden und an den KJND übergeben werden sollten, kam der KJND sowohl fachlich als auch von der Organisationsstruktur an seine Grenzen."
  • "Inzwischen gehen die Zahl der umA und parallel auch die Zahl der Meldungen wieder zurück, verharren aber auf einem deutlich höheren Niveau als in den Jahren 2011 bis 2013."
  • Nach dem vom Gesundheitsressort (zwecks Kostenersparnis) fast abgeschafften Kriseninterventionsdienst (KID) des sozialpsychiatrischen Dienstes sei es zu "entsprechendem höherem personellen Einsatz" gekommen, da "der KID nicht mehr zur fachlichen Einschätzung hinzugezogen werden konnte." Also auch psychiatrische Fälle wurden dem KJND noch aufgebürdet.

FAZIT

  • Die Wiederbeachtung der unter Jugendamtsleiter Hartwig (1999-2006) ignorierten Leitlinien des SGB VIII nach der ersten Aufarbeitung des „Falles Kevin“ (Ende 2006-Frühjahr 2007) machte sich positiv bemerkbar: Aufhebung der Budgetierung, persönliche 4-Augen-Hausbesuche zur Gefährdungseinschätzung, Prof. Wolff Fortbildungen in demokratischem Kinderschutz (z.B. „Aus Fehlern lernen“ und "dialogische Qualitätsentwicklung"), Umorganisationen, Verbesserung von Kooperation, Informationsaustausch und Vernetzung der vielen beteiligten Akteure u.v.m.
  • Der Anspruch (aus dem ESPQ-Modellprojekt ab 2011) nach bedarfsgerechtem Ausbau sog. fallunspezifischer, sozialräumlicher (Regel)Angebote (KiTas, Grundschulen, Freizis, Erziehungsberatung, Häuser der Familie ...) und Personalaufstockungen im Jugendamt kann Bremen, auch wegen seiner Festlegung auf Austeritätspolitik, nicht einlösen. Die Kollegen*innen und die Stadtteilbeiräte und nicht zuletzt die Eltern und Jugendlichen beklagen dies fortwährend.
  • Die Lüttringhaus-Fortbildungen sind in ihren theoretischen Grundlagen und in ihren praktischen Auswirkungen zu überprüfen.
  • Parallel gibt es - in Bremen deutlich über Bundesdurchschnitt (?!)- eine bedenkliche Zunahme kontrollierender, repressiver und responsibilisierender * Haltungen und Interventionen und daraus resultierenden Steigerungen der Herausnahme von Kindern aus ihren Familien, auf z.T. fragwürdiger verfassungsmäßiger Grundlage, kombiniert mit zweifelhaften „Reform“-Konzepten.

* Zum Begriff „Responsibilisierung“: Lutz, Tilman (2017): Wandel der Sozialen Arbeit von der Pathologisierung zur Responsibilisierung, in: Politik der Verhältnisse, Politik des Verhaltens – Widersprüche in der Gestaltung Sozialer Arbeit. Dokumentation des 9. Bundeskongresses Sozialer Arbeit in Darmstadt 2015. Wiesbaden, VS-Verlag

 

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Zusammenfassung der Dokumente und Stellungnahmen zur Armutsentwicklung in Bremen und der Entwicklung des Bremer Jugendamtes (Stand Febr. 2018)
Was nützt Bremer Familien die Weiterentw
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Stellungnahme (März 2016) des Bremer Bündnis Soziale Arbeit zu den HzE-Umsteuerungen und dem ESPQ Modellprojekt Bremen
Wie in Graz und anderen Pilotprojekten in Deutschland handelt es sich beim ESPQ-Modellprojekt (2011-2015) im Bremer Stadtteil Walle und der ab Ende 2014 begonnenen Übertragung einiger „Ergebnisse“ auf alle Sozialzentren in Bremen letztlich um eine budgetgetriebene „Top-Down-Strategie“, um mit vermeintlich „sozialräumlichen“ Methoden die stark ansteigenden Kosten der Hilfen zur Erziehung im Bremer Jugendhilfesystem zu reduzieren. Eine Kritik.
BBSA zu den HzE-Umsteuerungen + ESPQ Mod
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Kinderschutz in der Demokratie – Herausforderungen, Chancen, neue Wege, Prof. Reinhart Wolff, 2009
Fachtag des Bremer Jugendamtes „Unsere Kinderschutzaufgaben nach § 8a SBG VIII – Herausforderungen, Chancen, neue Wege“
Kinderschutz in der Demokratie_Fachtag B
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„Auflagenerteilung“ – ein Jugendamt hat "geholfen". Ein Lehrstück zu Rechtsbrechung und -beugung als Folge von "Lüttringhaus-Fortbildungen"
Auflagenerteilung Jugendamt_Hilfe oder
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Bedrohte "Zweigliedrigkeit des Jugendamtes" in Bremen - Brief des Jugendhilfeausschusses an Bildungssenatorin Bogedan:

Näheres zu den Hintergründen für die von den Grünen betriebenen Entmachtung der fachlichen Eigenständigkeit des Jugendamtes und damit auch des Jugendhilfeausschusses und der Verlagerung des (austeritätspolitischen) Durchgriffsrechtes an die Sozialsenatorin im Jahre 2012, unter diesem link. Der damalige (unter Kollegen*innen sehr beliebte) Jugendamtsleiter Marquard verließ u.a. deshalb das Bremer Jugendamt, wechselte nach Hamburg und ist heute als Dozent tätig im "Rauhen Haus" in Hamburg (Evangelische Hochschule für Soziale Arbeit & Diakonie).