Mit Warnstreiks, Kundgebungen und Protestaktionen an mehr als 50 Hochschulen (darunter auch an der Uni Bremen) in Deutschland haben Beschäftigte des öffentlichen Dienstes bessere Bezahlung gefordert. (Siehe WK Artikel vom 20.11.2023)
Unter dem Motto „Schluss mit prekärer Wissenschaft“ hatte ein Bündnis aus Gewerkschaften, Initiativen, Studierendenvertretungen und hochschulpolitischen Organisationen für einen Aktionstag mobilisiert.
Forderungen sind u.a.:
"Die erste Bachelor-Generation besteigt gerade die Lehrstühle. Menschen, die handwerklich perfekt ausgebildet sind, die hegemoniale Ideologie verinnerlicht haben und als Werbeträger für ein
System taugen, das akademische Bestätigung braucht, um weiter »Demokratie« sagen zu können. ... Diese Generation bestimmt schon jetzt, was »gute Wissenschaft« ist. Sie füllt Fachzeitschriften,
Tagungsprogramme und so schließlich auch Lehrbücher, Vorlesungen und Seminare – mit Themen, Perspektiven und Begriffen, die sie der politischen Agenda und den damit verlinkten Ausschreibungen
entnommen hat und die sie nicht hinterfragt, weil sie das nirgendwo lernen konnte.
Im Gegenteil: Die neuen Kollegen schreiben sofort auf die Visitenkarte, wenn Gesundheits- und Sicherheitsbehörden, Medienaufseher oder gar Google nach ihnen fragen. Der Einfluss von Staat und
Konzernen geht dabei über Fördertöpfe oder Auszeichnungen hinaus. An meinem Institut gibt es zwei Professoren, die an allen Gremien der akademischen Selbstverwaltung vorbei gewissermaßen »von
oben« platziert worden sind – einer von Volkswagen und einer von der Landesregierung. Beide forschen zu Künstlicher Intelligenz. Bei beiden hatte weder die Frauenbeauftragte etwas zu sagen (an
der LMU heißt das bis heute so) noch irgendein Studentenvertreter.
Manche Professoren haben die Stirn gerunzelt, aber wie das so ist mit einem geschenkten Gaul. Die beiden Kollegen werden uns helfen, bei Shanghai und überhaupt. Dass beide einen Bachelor-
abschluss haben, muss ich vermutlich gar nicht mehr hinzufügen."
(Auszug aus: tumult-magazine Herbst 2022)
https://www.hs-bremerhaven.de/studienangebot/bachelorstudiengaenge/soziale-arbeit/ Die sog. "Freie Wohlfahrtspflege" mischt dabei schon kräftig mit. So verständlich es ist, dass sie ihr Personal dort direkt passend rekrutieren möchte; mit Freiheit der Wissenschaft (Art. 5 GG) hat das herzlich wenig zu tun. Das Curriculum strotzt von Beginn an nur so von ausgiebigen "Praxisanteilen", dagegen ist die kritische Auseinandersetzung mit Sozialarbeitstheorien eher unterrepräsentiert. Eine leider bundesweit zu beobachtende Tendenz.
Auf der WEB-Seite (s.o.) wird ein Blick auf die katastrophalen Armutsentwicklungen in Bremerhaven geworfen:
"Hier [Brhv.] ist eine vergleichsweise hohe Quote von 30,5 stationären und 23,4 ambulanten Hilfen zur Erziehung pro 1000 jungen Menschen unter 21 Jahren zu verzeichnen. Die jährlichen Meldungen von Kindeswohlgefährdungen sind seit Jahren ansteigend und im Jahr 2020 auf einen neuen Höchstwert von 826 Meldungen gestiegen."
Das ist eine Folge von folgenden Verarmungstendenzen großer Teile der Bevölkerung:
"Die Arbeitslosenquote liegt über 12 % mit derzeit wieder steigender Tendenz. Von den Arbeitslosen leben nahezu 80 % im Arbeitslosengeld II-Bezug und sind somit langzeitarbeitslos. 33,4 % aller Kinder und Jugendlichen unter 15 Jahren in Bremerhaven leben im SGB-II-Bezug, dabei gibt es erheblich höhere Quoten in einzelnen Ortsteilen, den höchsten Wert mit 51,8 % erreicht der Ortsteil Goethestraße (im Stadtteil Lehe)"...
"...die mit 75,8 Jahren deutschlandweit geringste Lebenserwartung Bremerhavener Männer und die weit überdurchschnittlichen Anteilswerte von Bezieher:innen ambulanter Grundsicherung im Alter an den Senioren in manchen Quartieren (bis annähernd 25 % in Teilen Lehes)."
Hier von einem deutlichen Versagen der Politik zu sprechen, ist wohl nicht übertrieben.
Unter Einhaltung der Hygieneschutzmaßnahmen protestierten am 4. November Studierende, überwiegend aus dem Studiengang Soziale Arbeit, vor der Hochschule am Neustadtswall, mitorganisiert vom
Fachschaftsausschuss. Der ASTA der Hochschule und einige Lehrbeauftragte bekundeten ihre Solidarität. Gefordert wurde:
1. Eine Ausweitung der Nutzung von Räumlichkeiten!
Die Hochschule ist leer. Wir fordern eine Übertragung des Verfahrens der Arbeitsplatzvergabe der Bibliotheken auf die bislang ungenutzten Vorlesungsräume. Studierende brauchen Räume zum Lernen,
für fachlichen Austausch und für Gremienarbeit!
2. Mehr Präsenzveranstaltungen und eine Verbesserung der Online-Lehre! Studierende brauchen Raum für die kritische Auseinandersetzung mit den Inhalten des
Studiums, gute Begleitmaterialien und verfügbare Ansprechpartner*innen.
3. Mehr Transparenz und Beteiligung! Wir wollen mitgestalten und entscheiden, was in der Hochschule passiert.
Der Protest richtete sich an Wissenschafts-Senatorin Claudia Schilling und ihr Ressort, den Bremer Senat und die Rektorin der Hochschule Bremen Karin Luckey, die mit ihren Entscheidungen über die Köpfe der Studierenden hinweg folgenschwere Entscheidungen gertroffen hat. Karin Luckey hat ein Gespräch dazu angeboten. Der Protest geht weiter!
Soziale Arbeit ist eine praxisorientierte Profession. Die Arbeit mit Menschen zu gestalten ist eine Herausforderung. Sie erfordert Empathie, Fingerspitzengefühl, Erfahrung, methodisches und
theoretisches Wissen aus mehreren Disziplinen und eine ganze Menge mehr.
Das Studium der Sozialen Arbeit bereitet uns darauf vor, eines Tages wichtige Entscheidungen zu treffen. Wie verhalten wir uns in schwierigen Gesprächen? Welche Methoden können wir anwenden, um
Konflikte zu lösen? Wie zeigen wir Respekt und Akzeptanz von Individualität und können gleichzeitig einen Spagat zu gesellschaftlichen Erwartungen bewältigen? Wir müssen im Studium eine Menge
lernen, da
wir später in unseren Jobs Verantwortung tragen werden.
Leider merken gerade viele von uns Studierenden, wie wenig wir in dem vergangenen Online-
Semester gelernt haben. Durch eine Verlegung der Präsenz- auf Online-Lehre wird die Qualität
unserer Ausbildung enorm gemindert. Vor dem Hintergrund, dass es nun zunächst so weitergehen
soll, macht uns das sehr große Sorgen!
Wir tauschen uns nicht ausreichend aus, ein kritischer Diskurs fehlt fast gänzlich. Wir wachsen nicht
über uns hinaus und begeben uns nicht in eine Reflektion unserer eigenen Fähigkeiten und Grenzen
(................... vollständige Stellungnahme unten zum download)
Ein Festhalten an Online-Lehre stellt eine Katastrophe für die Qualität der Ausbildung künftiger
Sozialarbeiter*innen dar! Student*innen werden nicht ausreichend betreut, fühlen sich im Stich
gelassen oder lernen elementare Bestandteile ihrer Profession gar nicht erst. Den FASA haben hierzu
über alle Semester hinweg sehr erschreckende Informationen erreicht, auch z.B. bezüglich der
Erreichbarkeit von Ansprechpersonen.
Wir vom FASA, die unter den schwierigen Bedingungen versuchen, Kapazitäten für freiwilliges
Engagement freizusetzen, dürfen nicht einmal die Hochschule betreten, um dort einen Raum für
unsere wichtige Arbeit zu finden. Wir setzen uns ein, von Zuhause aus, weil wir nicht zusehen wollen,
wie unsere Profession Stück für Stück an Qualität verliert. Wir sprechen uns ausdrücklich dafür aus,
dass ein Hygienekonzept erarbeitet wird, sodass die Studierenden wieder in die Hochschule gehen
können, die wichtigsten Lehrinhalte wieder vermittelt werden und ein Anspruch hergestellt wird, auf
das wir ein Recht haben. Es ist unverantwortlich, wenn es so weitergeht! Für diese mangelhafte
Qualität zahlen am Ende die Adressat*innen der Sozialen Arbeit. Diejenigen, die sowieso schon die
schlimmsten Folgen dieser Pandemie zu ertragen haben, sehen sich zusätzlich schlechter
ausgebildeten Sozialarbeiter*innen gegenüber.
Unsicherheit und Angst prägen die Stimmung der Studierenden. Von finanziellen Sorgen und einem
immensen emotionalen Stress überschattet, leiden die professionelle Motivation und Kreativität,
ebenso wie kritisches Denkvermögen und Engagement. All das, was hervorragende Sozialarbeiter*innen auszeichnet, wird durch ein Festhalten an mangelhafter Online-Lehre zerstört!
Und für all das zahlen die Studierenden weiterhin fleißig ihre Semesterbeiträge... Das ist unerhört!
Wir sprechen uns ausdrücklich aus für eine Rückkehr zur Präsenzlehre unter der Einhaltung von Hygienevorschriften und fordern dazu auf, den offenen Brief https://www.praesenzlehre.com/ von einer Vielzahl von engagierten Menschen ebenfalls
zu unterzeichnen.
Unser Mitstreiter im Bremer Bündnis Soziale Arbeit Rodolfo Bohnenberger hat mit anderen zusammen ein Positionspapier für die Präsenzlehre im Studium Soziale Arbeit verfasst (unten zum Download). In den einleitenden Worten heißt es:
"In einem Studium Soziale Arbeit / Sozialpädagogik sollten angehende Sozialarbeiter:innen für eine zivile, soziale und demokratische Arbeit und den Einsatz für eine sozial gerechte Gesellschaft vorbereitet werden. Eine solidarische Haltung, die Förderung von Mündigkeit sollte schon während des Studiums erlebbar sein. Wie sonst sollten diese Kompetenzen entwickelt werden und später einfließen können in eine respektvolle und kooperative Arbeit mit den Adressat:innen und Nutzer:innen? Kann dies ein Online-Studium Soziale Arbeit, wie es in Planung ist? Die Antwort ist: Nein!"
Online forever?
Nach einem erzwungenen Online Sommersemester, zeichnet sich jetzt bereits ab, dass auch im Wintersemester 2020/2021 ca. 90% des Studiums Soziale Arbeit online durchgeführt werden wird. Das hat das Bremer Wissenschaftsressort zusammen mit den Leitungen der Universität und der Hochschulen verabredet, siehe die Presseerklärung vom 10.06.2020. in sehr begrenztem Umfang soll es Präsenzveranstaltungen nur für Labornutzung und für Neuimmatrikulierte im 1. Semester geben. Eine evidenzbasierte Begründung fehlt, denn es wäre viel mehr möglich, trotz "Corona", als bisher versucht wird.
Evaluation der Folgewirkungen der Umstellung auf Online fehlt!
Mit dieser ins Wintersemester und auch darüber hinaus geplanten Online Lehre ist es weitgehend vorbei mit einem reflexiven Studium. Noch ist keineswegs evaluiert, welche (auch schichtspezifischen) Folgewirkungen diese Online-Umstellung hat, da wird es flugs schon zum Dauerzustand gemacht. Die aktuell durchgeführten Online-Befragungen der Studierenden und Lehrenden sind lediglich auf die Optimierung des Online-Betriebes ausgerichtet, nicht seine Infragestellung. Online-Tools und digital aufbereitetes Wissen, moderne Kommunikationsmethoden sind gute Hilfsmittel und als solche sicher auszubauen, aber echtes Lernen läuft weiterhin analog, funktioniert über Lern- und Lehrbeziehungen und über lebendige und persönlich durchlebte (kontroverse) Diskurse.
Die Situation der Studierenden
Sehr viele Studierende melden zurück, dass sie finanziell am Ende sind (kein Bafög, Job weg, Schulden machen), sich allein gelassen und isoliert fühlen und das Online Studium als verlorenes Semester erleben. Gleichzeitig schildern sie Überlastung und massive Einschränkungen, sich zu organisieren. Das Betretungsverbot der Hochschulen, sogar für Studierendenvertretungen tut sein Übriges.
Gewerkschaftlich organisierte Studierende von TV Stud Bremen haben zu Beginn des SS einen offenen Brief an die Landesregierung des Landes Bremen geschrieben, der von 2000 Studierenden unterstützt wurde. Darin wird auf die prekäre Lage hingewiesen; es heißt darin: "Die Absage von Präsenzveranstaltungen und die Umstellung auf digitale Lehre werden neue Probleme mit sich bringen und alte verstärken. Jetzt schon werden Seminare abgesagt und es ist unklar, welche Prüfungen überhaupt in welcher Form stattfinden werden. Aus diesem Grund bezweifeln wir sehr stark, dass den unterfinanzierten Hochschulen im Land Bremen so schnell eine gelungene Umstellung auf digitale Lehre gelingt. Studierenden brechen die Jobs und die finanzielle Unterstützung der Eltern weg. Viele müssen sich jetzt um kleine Geschwister oder zu pflegende Angehörige kümmern. Gerade in Bremen, wo viele Menschen von Armut bedroht sind, stellt dies große Hindernisse auch für Studierende dar. Wir sehen zudem die Gefahr, dass soziale Unterschiede jetzt noch viel deutlicher hervortreten werden. Je nach Wohnsituation und technischer Ausstattung studiert es sich beispielsweise auf engem Raum viel schlechter als in den Räumen der Universität. In vielen Haushalten wird es schlicht unmöglich sein, immer einen ruhigen Arbeitsplatz zu den Seminarzeiten zu garantieren. Studierende, die ihren Job verloren haben, müssen in erster Linie erst mal finanziell über die Runden kommen und haben weniger Zeit, geschweige denn den Kopf für ein Vollzeitstudium."
Die Profiteure
Ein sicherlich großes Interesse an solchen "Lern"methoden haben auf jeden Fall
Ein Qualitäts-Desaster
In der Disziplin der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik, in Lehre und der (ohnehin marginalen) Forschung erleben wir ein ganz besonderes Qualitäts-Desaster. Wohin soll das führen, wenn die Erfahrung persönlicher, kritischer (nicht angepasster), innovativer (nicht berufstüchtiger), forschender (nicht wiederkäuender), generalistischer und interdisziplinärer (keine Fachidioten) wissenschaftlicher Arbeitsweisen gar nicht mehr gemacht werden kann?
"Corona" nur als Vorwand?
Die Hochschulleitungen und die Wissenschaftsressorts sollten eigentlich alles nur erdenkliche unternehmen, um das zu ändern (z.B. Container aufstellen, Räume und Personal akquirieren, mehr Exkursionen, kleinere Gruppen, alternierende Lehrzeiten usw. usf.). Stattdessen wird in einer erschreckenden Naivität (beste Absichten unterstellend) die Online Lehre als das "non plus ultra" gefeiert und "Corona" als Vorwand benutzt, um all diese Fehlentwicklungen auch noch administrativ zu verfestigen.
4000 Professoren*innen für die Präsenzlehre
4000 Professoren*innen und Lehrkräfte haben in einem Offenen Brief die Rückkehr zur (eingeschränkten) Präsenzlehre ab WS 2020/21 gefordert: https://www.praesenzlehre.com/
Der Wissenschaftsapparat, Uni-Rektorate und die Medien haben eher diskreditierend darauf reagiert und die vielen gute Argumente ignoriert. Zur Sozialen Arbeit gäbe es es noch viel mehr zu ergänzen (siehe weiter unten).
"Auf Knopfdruck" 25% mehr Studienanfänger?
Auch ist es aus Qualitätsgründen nicht hinnehmbar, dass - ohne Ausbau der hautpamtlichen Kräfte und der Räume - mal eben die Studienanfängerzahlen um ca. 25% erhöht werden. Das ist in Bremen so geplant, vermutlich woanders auch, denn digital-online lassen sich die Studierendenzahlen "per Knopfdruck" vervielfachen. Gegen eine Ausweitung wäre bei entsprechender räumlicher und personeller Ausstattung nichts einzuwenden, sondern sogar zu fordern wegen fehlender Fachkräfte. Aber so wie es jetzt läuft, führt diese Verdichtung zu einer massiven Reduzierung von persönlichen Beratungs- und Anleitungsmöglichkeiten mit den Lehrkräften. Das häppchenweise in Modulen online eingetrichterte Wissen muss dann nur noch kurzfristig abrufbar sein für die prüfungsrelevanten Credit-Points mit dem Ziel: Bachelor in sechs Semestern und möglichst passgenau rein in den Beruf.
Vom Job zum Studium und nun zurück zum Job
Die Herabstufung des Studiums Soziale Arbeit zu einer modularisierten Schmalspurausbildung ist leider - nach einem kurzen Frühling der Professionalisierung nach 1968 - ein schon länger nachweisbarer Prozess. Die Etappen: Absenkung der BAföG-Finanzierung auf nur noch 15% der Studierenden, Verschulung und Bachelorisierung (Bologna-Prozess), Drittmittelabhängigkeit, Privatisierung und Dualisierung (siehe weiter unten) und nun die Digitalisierung als quasi "Sargnagel". Ein ausführliche Analyse der Negativ-Entwicklungen der letzten 20 Jahre steht hier ("Über den Verlust an Reflexivität ...") zum Download. Eine verkürzte Version dieses Beitrags erschien in der Fachzeitschrift Sozialextra "Sie verlassen den sozialen Sektor" im Frühjahr 2019. Die Bertelsmann Stiftung (dahinter der auf Profit schielende Medienkonzern Bertelsmann) und andere Think Tanks haben seit Ende der 1990er Jahre auf eine Dominanz digitaler und onlinebasierter Bildung und Hochschulausbildung hingearbeitet. Dank "Corona" können sie jetzt die Sektkorken knallen lassen, zum Nachteil der Qualität und der kritischen Sozialen Arbeit.
Folgen für Praxis
sind sinkende Kompetenzen zur Infragestellung bestehenden Wissens und praktizierter Methoden, und schwindende Eigenständigkeit und Innovationsfähigkeit. Zu viele werden nach dieser Online-Zurichtung als Berufsanfänger*in "auf die Menschheit losgelassenen" und werden Fehler machen und die vorgefundene Praxis der Anstellungsträger erst mal kritiklos nachahmen. Die Sichtweisen und die Interessen der Adressaten und Nutzer*innen Sozialer Arbeit, wie auch angemessene Reaktionen auf neue gesellschaftliche Herausforderungen drohen unterzugehen. Seit Jahren schon sind in der Kinder- und Jugendhilfe und in den Jugendämtern zunehmende Tendenzen der Überbetonung eingriffsorientierter, nicht-kooperativer Methoden zu beobachten, was zu steigenden Herausnahmen von Kindern aus ihren (meist ärmeren) Familien führte. Gleichzeitig vollzog sich eine Schwächung der allgemeinen Prävention auf allen Ebenen, noch angefeuert von den "Spar-Runden" der klamm gehaltenen Kommunen, meist im Bereich der niedrigschwelligen, offenen Angebote Sozialer Arbeit. Mehr dazu unter diesem internen LINK.
Sollen diese Fehlentwicklungen nun auch noch in Rechtsform gegossen werden ?
In der ver.di Broschüre von 2020 zur kritischen Kommentierung der seit 2016 laufenden SGB VIII Novellierungsversuche finden sich lesenswerte Stellungnahmen zu den Auseinandersetzungen um den Erhalt der Lebensweltorientierung und Sozialraumorientierung in der Kinder- und Jugendhilfe, wie sie nach langen politischen Kämpfen 1990 mit dem neuen Kinder- und Jugendhilfegesetz positiv fixiert wurden, und nun leider wieder in Frage gestellt werden.
(12.07.2020, Rodolfo Bohnenberger)
Petition: Das Online-Semester und die gesteigerte soziale Prekarität schränken seit mehreren Monaten Wissenschaft und Bildung mündiger Persönlichkeiten zur menschlichen Gestaltung der Welt erheblich ein. In der Vereinzelung gehalten, ohne Hochschule als Ort der sozialen weltbezogenen Perspektivbildung, soll sich zufrieden gegeben werden mit leichter Milderung der Einschränkungen und individueller Nachsicht bei steigt der Selektions- und Konkurrenzdruck in den Massenprüfungen. Das schadet allen. Die Hochschulen werden mit ihrer Arbeit für eine zivile, soziale, demokratische, ökologisch und ökonomisch nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft jetzt erst recht gebraucht. Studium, Wissenschaft und Forschung können dafür, wie in den Schulen ohne formale Abstandsregeln, mit erhöhter Aufmerksamkeit Aller füreinander, in Präsenz stattfinden. Soziale Sicherheit ist dafür notwendig und kann geschaffen werden. Geld ist genug da. Es ist die Aufgabe der Hochschulen zu Friedensbildung, solidarischen internationalen Beziehungen, Demokratisierung, einem nachhaltigen Austausch mit der Umwelt und sozialer Gerechtigkeit beizutragen. Wissenschaftliche Erkenntnis braucht kritische persönliche Auseinandersetzung und Bezugnahme. Das gelingt am besten in Präsenz. Daher fordern wir von Senat und Hochschulleitungen: 1) Soziale Grundlage sichern: 900€ monatlich als Vollzuschuss 2) Bildung braucht Präsenz 3) Mensen und Bibliotheken sind Grundlage für Wissenschaft: Sie müssen geöffnet werden 4) Restriktionen abschaffen: Fristen für ein Jahr verlängern, Freischussregelung für alle Prüfungen. ....(Fachschaftsrat Erziehungswissenschaft UNI Haamburg)
Um Wissenschaftlichkeit und Reflexivität, um die Freiheit der Lehre und Forschung und dafür notwendige Voraussetzungen in den Studiengängen der Sozialen Arbeit und Sozialpädagogik ist es nicht gut bestellt. Die Möglichkeitsräume (zeitlich, strukturell, finanziell) für Kritik, In-Frage-Stellung des Bestehenden, Forschung, und Innovation sind dramatisch kleiner geworden; in unterschiedlichen Ausprägungen, je nachdem, ob die Studiengänge in Berufsakademien, in Hochschulen oder Universitäten angesiedelt sind, ob sie unter einem staatlichen, kirchlichen oder privaten "Dach" organisiert sind, bzw. auch abhängig von einzelnen engagierten Akteuren innerhalb der genannten Institutionen.
Wissenschaftliche Produktivität wurde in den letzten 40 Jahren massiv eingeschnürt. Die inflationäre Beliebigkeit, mit der allüberall von akademischem Studium die Rede ist, deutet darauf hin, dass es in der Profession und Disziplin Soziale Arbeit große Unschärfen gibt,
Wünschenswert wäre, dass alle Studienangebote Soziale Arbeit und Sozialpädagogik konzeptionell, curricular, strukturell und finanziell herauf gestuft werden auf ein wissenschaftliches Niveau,
dass den Namen akademisches und reflexives Studium verdient, eingeschlossen ein gut bezahltes nachgeordnetes , von der Hochschule begleitetes Trainee-Jahr in der Praxis, wie es Mediziner
und
Juristen schon länger haben.
Davon sind wir aber zur Zeit weit entfernt. Im Moment erleben wir - getrieben von einem durch Unterlassung selbst herbeigeführten Arbeitskräftemangel - eher eine Effizienz betonende Herabstufung und Privatisierung mit dem Ziel, in möglichst kurzer Zeit (6-Semester) möglichst viele Absolvent*innen zu generieren, mit möglichst für die Träger passgenauen Einsatzkompetenzen (über duale Konzepte) und - angesichts des eklatanten Fachkräftemangels - möglichst starker Bindung an den Arbeitgeber.
Erneuerungsfähigkeit, angemessene Reaktion auf neue gesellschaftliche Herauaforderungen, wie auch Kritik an sozioökonomischen Entwicklungen und ihrer Wechselwirkung zu "sozialen Problemen" und sozialstrukturellen Angeboten fallen immer mehr hinten runter; managerialistische Lösungsversuche dominieren. In dem hier downloadbaren Beitrag werden die (historischen) Hintergründe dieser besorgniserrenden Entwicklungen skizziert und wesentliche neoliberale Akteure, wie u.a. die Bertelsmann Stiftung, benannt.
Wissenschaftlich bedeutet: kritisch (nicht angepasst), innovativ (nicht berufstüchtig), forschend (nicht wiederkäuend), generalistisch und interdisziplinär (keine Fachidioten), orientiert an den Interessen der Menschen (nicht der wirtschaftlich potenten Auftraggeber und Zahlmeister).
Notwendig ist eine Auseinandersetzung mit der übermächtigen ideologischen Rolle des weltweiten (Medien)Konzerns Bertelsmann (milliardenschwere Familie Mohn), der Bertelsmann-Stiftung und ihres "Centrums für Hochschulentwicklung CHE" (bekannt durch interessengeleitete Rankings und Studien, die ständig in der Bertelsmann-Presse auftauchen) bei der neoliberalen Umformung. Die Tendenz für große Teile der Bevölkerung in Richtung Niedriglohn, relative Verarmung und Wohnungsnot ist ungebrochen, bei gleichzeitiger Reichtumsakkumulation der Großkonzerne und ihrer Besitzer, der 1% Superreichen (Quandt und Klatten, Haniel, Piech und Porsche usw. usf). Die Care- und Sorgekrise (besonders in den Einelternhaushalten) und das Schwinden des Sozialen (auch in der Sozialen Arbeit selbst) sind Alarmsignale.
Wie gelingt es den Herrschenden, das Studium/Ausbildung von Sozialarbeitern*innen so auszurichten, dass sie sich auf kritiklosen "Kitt" (Hilfe u. Kontrolle) reduzieren lassen, für diese zutiefst ungerechte Gesellschaft. Wie werden die für dieses System passgenauen Sozialverwaltungskadetten ausgebildet ?
Wo gibt es noch wissenschaftliche Möglichkeitsräume, wo notwendige Kritik und Innovation für eine gerechtere Gesellschaft gedeihen kann ? Letzteres ist durch den "Bologna-Prozess" massiv ausgedünnt worden und wird nun mit den von den Anstellungsträgern über Drittmittel, Ausbildungsverträge und Weiterbeschäftigungsverpflichtungen dominierten dualen Studiengängen und der zunehmenden Privatisierung der Ausbildungsgänge Soziale Arbeit endgültig auf "Employability" (Beschäftigbarkeit) getrimmt.
Die Verdichtung und Unterwerfung der Bachelor Studiengänge unter die Maxime des prüfungsrelevanten Stoffes (ECTS - Creditpoints-Studium), wie sie der von unternehmerischen Lobbygruppen getriebene europäische Bologna-Prozess erzwungen hat, bekommt hier ihren dualen I-Punkt im von den Dienstherren passgenau bestellten Anwendungswissen für den jeweiligen speziellen Träger.
Zu allem Überfluss müssen in Bremen z.B. die verbeamteten "Sozialinspektoranwärter*innen" in der ab WS 2016 für den Öffentlichen Dienst gestarteten dualen Ausbildung sich für insgesamt 8,5 Jahre an den Arbeitgeber binden; bzw. ihre Ausbildung "abarbeiten". Solche Ausbildungsverhältnisse gewinnen deshalb an Atraktivität, weil hier nach dem Abbau des BAFöGs (nur noch 15% der Studierenden bekommt es) wenigstens ein garantiertes Ausbildungsentgelt gezahlt wird und bei den Trägern die schiere Verzweiflung über grassierende Personalunterbesetzung ausgebrochen ist.
Aber der Preis, der dafür gezahlt wird ist hoch. Der Artikel 5 Grundgesetz: Freiheit der Forschung und Lehre wird faktisch/ökonomisch obsolet, denn für die nun dual Studierenden heißt es: "Wes Brot ich ess, des Lied ich sing". Die Loyalitätsbindungen an den Hauptvertragspartner (der sog. "Praxispartner") über Arbeits- und Ausbildungsrecht üben einen immensen Druck aus, der die Wahrscheinlichkeit schwinden lässt, dass Fehlentwicklungen beim Träger im Studium wissenschaftlich untersucht und kritisiert werden können. Und: Die Hochschule wird über wachsende Drittmittelabhängigkeit (für jeden dual Studierenden Soziale Arbeit bekommt sie 1.800-2.500 Euro pro Studierenden / Semester) ökonomisch immer abhängiger und so subtil auch für Studieninhalte-Umgestaltung missbrauchbar.
Es stellt sich auch die Frage, ob solche duale Konzepte noch den Namen reflexives STUDIUM verdient, oder ob es eher eine passgenaue BERUFS-AUSBILDUNG für das (unkritische ?) Funktionieren im JOB ist. Damit stuft sich die Hochschule Bremen aber selbst herab und innovatives, über den aktuellen Wissensstand hinausweisendes Lehren, Forschen und Handeln wird strukturell noch weiter erschwert.
Eine Hamburger Initiative von Erstunterzeichnern bestehend aus Professoren*innen, Studierenden, Gewerkschaftern, Personalräten, sowie Praktiker*innen sammelt weiter unter einer gemeinsam
verfassten Stellungnahme Unterschriften. Alle Unterschreibenden werden über den Fortgang der Ereignisse per Mail auf dem Laufenden gehalten. Die Forderung: Dem Fachkräftemangel solle die Stadt
anders begegnen – durch eine Ausweitung der Studienplätze an HAW und EHS (Raues Haus). Mehr Infos auf der WEB-Seite des Fachschaftsrates am Studiengang Soziale Arbeit an der HAW
Hamburg
Auszug: "Seit einiger Zeit setzt sich auch das Department Soziale Arbeit sehr intensiv mit der Frage nach der Entwicklung eines dualen Bachelorstudiengangs Soziale Arbeit auseinander. Diese Diskussion begann bereits im Jahr 2016 gemeinsam mit der Freien und Hansestadt Hamburg. Sie erhielt eine neue Dynamik insbesondere durch den 2017 mit dem Präsidium der HAW Hamburg abgestimmten Prozess, der sich eng an der grundlegenden Prozessbeschreibung der HAW Hamburg zur Einrichtung von neuen Studiengängen orientierte. Die im Department geführte fachliche Verständigung basierte u.a. auf der Auseinandersetzung mit den Empfehlungen des Wissenschaftsrates zur Entwicklung des dualen Studiums (2013) sowie mit dem Kerncurriculum Soziale Arbeit der Deutschen Gesellschaft für Soziale Arbeit. Der Prozess umfasste einen breiten Diskurs zu dualen Studienangeboten sowohl innerhalb als auch außerhalb der Hochschule. Der überregionale Fachtag „Soziale Arbeit – dual“ fand am 01.06.2018 im Department Soziale Arbeit statt und bildete den Rahmen, um Fragen der Disziplin und Profession im Kontext der Thematik auch mit externen Akteur*innen, Expert*innen und Vertreter*innen der Fachgesellschaften zu diskutieren. Der mehrdimensionale und partizipative Diskussionsprozess mündete in der Entscheidung des Departmentrates über die Frage, ob aktuell die Entwicklung eines dualen Bachelorstudienangebots Soziale Arbeit weiterverfolgt werden soll. Der Departmentrat ist das demokratisch gewählte Organ im Department Soziale Arbeit, welches nach der Grundordnung der HAW Hamburg über den Vorschlag zur Einrichtung eines Studiengangs im Rahmen des Struktur- und Entwicklungsplans beschließt. In seiner Sitzung am 02.07.2018 hat der Departmentrat Soziale Arbeit sich mehrheitlich gegen eine weitere Entwicklung eines dualen Studienprogramms zum jetzigen Zeitpunkt entschieden. Die standortbezogene Begründung setzt auf der fundierten Analyse der vielfältigen Ausbildungsinteressen auf. Sie bezieht die aktuellen Implikationen sowie Herausforderungen für die Disziplin- und Professionsentwicklung der Sozialen Arbeit in der Metropolregion Hamburg ein. Zentrales Argument ist dabei, dass die Kompetenz zum Theorie-Praxis-Transfer im Studium der Sozialen Arbeit als ein gefordertes Qualifikationsziel nicht nur durch das 100tägige Praxisstudium nach dem Anerkennungsgesetz Soziale Arbeit (2013), sondern auch durch die in dem derzeitigen Studium bereits vorgesehenen vielfältigen lehrbegleitenden Praxisbezüge sichergestellt werde. Die Realisierung dieses Qualifikationsziels ist aus der Sicht des Departmentrates nicht an die Entwicklung eines dualen Studienmodells gebunden."
Prof. Christian Kreiß, Gekaufte Forschung, Wissenschaft im Dienst der Konzerne, Beispiel TU München? Video eines Vortrags am 18.12.2019
Sein Buch steht auf seiner WEB-Seite zum Download als pdf bereit.
Duveneck, Anika (2016): Bildungslandschaften verstehen. Zum Einfluss von Wettbewerbsbedingungen auf die Praxis. Beltz Juventa
Kellermann, Paul; Boni, Manfred; Meyer-Renschhausen, Elisabeth (Hrsg.) (2009): Zur Kritik europäischer Hochschulpolitik. Forschung und Lehre unter Kuratel betriebswirtschaftlicher Denkmuster, VS-Verlag
Knobloch, Clemens (2012): Wir sind doch nicht blöd. Die unternehmerische Hochschule. Verlag Westfälisches Dampfboot
Münch, Richard (2018): Der bildungsindustrielle Komplex. Schule und Unterricht im Wettbewerbsstaat. Beltz-Juventa-Verlag
Wernicke, Jens ; Bultmann, Torsten (Hg.) (2010): Netzwerk der Macht - Bertelsmann. Der medial-politische Komplex aus Gütersloh.
Zeuner, Bodo (2007): Die Freie Universität Berlin vor dem Börsengang? Bemerkungen zur Ökonomisierung der Wissenschaft. Abschiedsvorlesung, gehalten am 11. Juli 2007 im Otto Suhr Institut. In Prokla Heft 148
Ein Gespräch mit Dr. Matthias Burchardt, Universität zu Köln
Auszug aus folgendem Beitrag im Blog "Aufwach(s)en mit digitalen Medien"
„Widerspruch auf ganzer Linie“, meldet Dr. Matthias Burchardt an, „digitale Fernbeschulung ist kein Ersatz, sondern das Gegenteil von schulischer Bildung.“ Dr. Burchardt ist Bildungsphilosoph an der Universität Köln und spricht für das „Bündnis für humane Bildung“. Pressemitteilung Bündnis für humane Bildung (05.05.2020).
Es sei richtig, dass die Lehrer in der Corona-Krise mit großem Einsatz ein digitales Schulnotprogramm organisieren würden. Trotzdem wirft Dr. Burchardt einzelnen Lehrerverbänden und der „Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft, Baden-Württemberg“ (GEW) vor, eine „kollektive Illusion“ zu pflegen, wenn die Verantwortlichen als Corona-Folge fordern: „alltagstaugliche LAN- und WLAN-Strukturen, pädagogische Server und eine hundertprozentige Grunddigitalisierung der Schulen“, wie in der Stuttgarter Zeitung“ am 28. April zu lesen war. Ein Skandal sei es, wie die Digitallobby die Ängste während der Pandemie ausbeutet, „um ihre einseitige Agenda im Bildungswesen durchzudrücken.“ Es öffneten sich die Schultore für die großen Player wie Microsoft, Google oder Apple, wenn das Kultusministerium Cloud-gestützte Office-Lösungen zulässt.
Das „Bündnis für humane Bildung“ hält digitale Medien in weiterführenden Schulen für sinnvoll, wenn Schüler die Technik aktiv nutzen. Es wendet sich aber deutlich gegen die Digitalisierung von Grundschule und Kindergarten."