Von Hannes Hofbauer (Wien) erscheint im Oktober 2020 das Buch „Europa – ein Nachruf“ im Promedia Verlag. In der Zweiwochenzeitschrift Das Blättchen hat er einen "Vorgeschamck" auf seine Sichtweise zur EU veröffenticht.
Im Folgenden einige Auszüge daraus:
"(…) Der erste analoge Gipfel mit physischer Anwesenheit seit den Lockdowns [im März 2020] war ein einziges Wundenlecken. Mitte März hatte die Europäische Union ihre bisher dunkelste Stunde
erlebt. Ein Virus, oder besser: das Virus-Management, förderte zutage, was Worthülsen wie „europäische Solidarität“, „Grenzenlosigkeit“ und „Weltoffenheit“ wert sind, wenn es auf sie ankäme:
nichts. Die ausschließlich nationalstaatlich verordneten Notstandsgesetze und Grenzschließungen hatten für EU-Kommission und EU-Rat den Charakter eines politischen Offenbarungseids. Brüssel war
abgemeldet. Dazu kam der nun endgültige Rückzug der zweitgrößten Volkswirtschaft, Großbritannien. Der Vollzug des Brexit machte es für die übrig gebliebenen Mitglieder deutlich: Es wird
teurer…
(…) Was das Corona-„Rettungspaket“ noch offenbart, ist die Fortschreibung der ökonomischen Ungleichheit im „Euro“-Raum. Denn die Kreditvergabe von 360 Milliarden Euro (bei 390 Milliarden
Zuschüssen) an hauptsächlich Staaten des europäischen Südens garantiert den Bestand des Systems, wonach Export-Länder wie Deutschland den Euro und billige Arbeitskräfte dazu nützen können, im
Geschäft zu bleiben, und die Peripherie mittels Zuschüssen und Krediten notgefüttert wird. Damit kann ihre Nachfrage nach hochwertigen Industriegütern aus den Zentralräumen aufrechterhalten
werden…
(…) Der EU-Gipfel vom Juli 2020 hat zudem einen Vorgeschmack auf künftige Auseinandersetzungen gegeben. Blockbildungen innerhalb der Europäischen Union werden in Zukunft häufiger und nicht mehr
hinter den Kulissen stattfinden. Die erfolgreiche Allianz der vier oder fünf Sparmeister wird Nachahmer finden. Zudem wurde deutlich, wie labil die entscheidende Achse Berlin-Paris ist, sie kann
bereits nach dem nächsten Wahlgang der Vergangenheit angehören. Damit ist nicht nur die Abhängigkeit von den Urnengängen in Deutschland und Frankreich gemeint, sondern auch von jenem in den USA.
Die Frage, wer nach dem Ausscheren Großbritanniens aus der EU das Liebkind Washingtons sein wird, kann auch Einfluss auf die deutsch-französischen Beziehungen haben. Sich von den USA zu lösen,
dazu waren die westeuropäischen Einigungsbestrebungen seit dem Kohle-Stahl-Pakt des Jahres 1950 nicht gemacht und das scheint auch heute nicht auf der Tagesordnung zu stehen…"