Nachruf Salvador Minuchin – ein Pionier der Familientherapie

Einleitende Worte eines Nachrufs von Marie Luise Conen zum Tode von Salvador Minuchin (13.10.1921 – 29.10.2017) :

"Salvador Minuchin, der letzte der großen Gründer der Familientherapie, starb am 29.10.2017 im Alter von 96 Jahren in Boca Raton, Florida. Noch im März 2017 sprach er auf dem großen Kongress des Psychotherapy Networker in Washington über seine Arbeit; alle Teilnehmer zollten diesem Großen der Familientherapie ihre Wertschätzung und Bewunderung für einen, der sich vor allem die Arbeit mit sozial und ökonomisch benachteiligten Familien auf die Fahnen geschrieben hatte.


Er war 1921 als Sohn jüdischer Einwanderer aus Russland in San Salvador, Argentinien geboren. Sein Vater Mauricio führte einen kleinen Laden und musste aufgrund der Weltwirtschaftskrise später als Gaucho Pferde hüten. Er entwickelte sich zum linken Aktivisten und stand in Opposition zum Peron-Regime, was ihm einige Monate Gefängnis einbrachte. Nachdem er sein Medizinstudium an der Universität von Cordoba, Argentinien, abgeschlossen hatte, ging er 1948 nach Israel, wo er im Unabhängigkeitskrieg als Arzt tätig war.

Er kehrte nicht nach Argentinien zurück, sondern ließ sich in New York nieder, wo er seine Frau, Patricia Minuchin, kennenlernte und heiratete. Während dieser Zeit studierte er Kinderpsychiatrie bei Nathan Ackerman. Nach Abschluss ging er gemeinsam mit seiner Frau erneut nach Israel, wo er mit Kindern, die den Holocaust und die Kriegswirren überlebt hatten, arbeitete. Nach einigen Jahren ging er wieder nach New York und schloss eine psychoanalytische Ausbildung am William Alanson White Institute ab.


Sein Wechsel als Direktor der Wiltwyck School im Hudson Valley, einer Art geschlossenen Einrichtung für delinquente Jungen, war für ihn richtungsweisend. Hier wurde er erneut darin bestärkt, nicht die »Problemklienten« alleine zu sehen, sondern das Familiensystem einzubeziehen. Also ging er hin und ließ die Eltern und Geschwister der Jungen an den Wochenenden mit Bussen zur Wiltwyck School bringen, um dort mit ihnen gemeinsam Gespräche zu führen. Hier entwickelte er seine grundsätzlichen Ideen der von ihm begründeten strukturellen Familientherapie.

Das weltweit bekannte Buch »Families of the Slums« (leider nie ins Deutsche übersetzt) machte ihn zu einem der Pioniere der Familientherapie. Seine Neuerungen für die Arbeit mit »Multiproblemfamilien« fanden unter denen, die sich später ebenfalls als Pioniere erwiesen (wie u. a. Bateson) großes Interesse.
1965 wechselte er als Direktor an das »Children’s Hospital« in Philadelphia, das mitten im West-Philadelphia Ghetto lag und musste Wege finden, sich angemessen mit den Auswirkungen von sozialem Elend und Rassendiskriminierung auseinanderzusetzen und diese in der Arbeit mit den Familien zu berücksichtigen. Salvador Minuchin wurde Leiter der Philadelphia Child Guidance Clinic (PCGC) der University of Pennsylvania, wo er auch als Hochschullehrer tätig war. Hier entwickelte er die damals bahnbrechende Idee der Einbeziehung von Laien aus den Ghettos in die Arbeit mit »Multiproblemfamilien«.


Er zog sich 1975 von dieser Position zurück und übernahm bis 1981 die Leitung des Training Centers an der PCGC. Er gönnte sich eine Auszeit in London, wo er mit Alan Cooklin (Marlborough Family Service) zusammenarbeitete, der seit 1975 selbst versuchte, neue Arbeitsansätze mit »Inner-City Families« zu entwickeln. Die gegenseitige Befruchtung der beiden Gründer fand ihren Niederschlag in einer Reihe von Veröffentlichungen, besonders jedoch in der konzeptionellen Weiterentwicklung des Marlborough Family Service – das später von Eia Asen geleitet wurde. Hier probierte sich Salvador Minuchin auch etwas in seinen schauspielerischen Fähigkeiten – er konnte nicht nur Familientherapiegespräche als Bühne für Veränderungen im Hier und Jetzt nutzen.


Nach seiner Londoner Zeit gründete er das Family Studies Institute in New York, das zu einem Zentrum seines Bestrebens wurde, das »Child Welfare System« der Stadt zu verändern. Seine Bemühungen konzentrierten sich auf eine Arbeit, die den Zusammenhalt von Familien unterstützen wollte. Sein Wirken hält zwar bis heute vor allem im Bereich der Pflegefamilienarbeit an, dennoch habe ich ihn selten so frustriert erlebt, wie wenn er von seinen Erfahrungen mit Administratoren der Jugendhilfe erzählte. Vieles an seinen Kämpfen erinnert mich an das, was 2016/2017 im Rahmen der Änderungsversuche des SGB VIII in Bezug auf Familienarbeit ablief. Die Verleugnung der Bedeutung der Herkunftsfamilie für ein Kind, wie es in dieser »Reform« deutlich wird, fand bei Minuchin nur Unverständnis. Seine Unterstützung von Kolleg/innen, die sich für die Interessen von unterprivilegierten Familien einsetzten, wurde von uns allen geschätzt, auch wenn sie das eine oder andere Mal mit seiner Frage begleitet wurde, ob es weiterhin Spaß mache, denn er selbst kannte die frustrierende Dauerabwehr von Bürokraten in der Familien- und Jugendhilfeadministration."